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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1899)
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Vom Deutschen in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0058

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hier sür kurze Strecken einmal zu einen. Und selbst wo Er das that,
sagen wir doch: wir könnten uns das immerhin auch anders denken, es
ist also nicht ganz notwendig so, wie es ist, es gehört also unter
seinem Schönen nicht zu dem Vollkommenen. Tausend und abertausend sehr
tüchtige Künstler dagegen haben ihre Begabung, indem sie dem Stern-
bild im Süden nachtrachteten, auf den Jrrwegen eines für sie leeren
Formalismus müde gesührt, bis sie sich hinlegte und einschlies.

Mittlerweile aber geschieht etwas Merkwürdiges. Franzosen,
Jtaliener, Spanier sogar legen in ihrer Kunst weniger und weniger Ge-
wicht auf die schöne Linie, die gefällige Farbe im eigentlichen und über-
tragenen Sinne und mehr und mehr auf kennzeichnenden Ausdruck. Man
spricht nicht von germanischer Kunst dabei, aber es ist ganz sicherlich
germanische Kunst, die dabei mitspricht. Wagners Schöpfungen ziehen
siegreich durch die Welt. Tolstoj bespricht die Kunst als Mitteilung der
Seelen zu einander, ganz, als wär er Germane. Segantini lehrt der
italienischen Malerei, der romanischsten vor allen, deutsche Jdeale. Ueber
den französischen Bildern und Skulpturen und Tonwerken schimmern sie
auf. Und wenn man die Jungen hört, die Realisten, die Jndividualisten,
die Grübler und Träumer und Mpstiker rings in den Literaturen, so sragt
man sich auch: will jetzt der Süden beim Norden lernen, ganz umgekehrt
vom bisherigen Brauche? Es wird doch 'nicht etwa sein, daß unsre
deutsche Kunstaussassung die tiefere, die rechte gewesen wäre und daß
die Welt sich zu ihr, zu uns, den Germanen, bekehrt?

Es wird doch wohl so sein, nicht schnell, nicht jetzt, nicht ohne
hunderttausend Rücksälle. Aber es wird wohl so werden, daß die ge-
bildete Welt mit der Zeit in der Kunst nicht mehr ein Erzeugen von an-
genehmen Dingen sehen wird, sondern in unserm Sinne eine Mitteilung
des Fühlens und Schauens von Menschenseele zu Menschenseele. Ties
ernstes Streben nach geschlossener Form, nach Stil wird deshalb doch
aller wirklichen und also des deutschen Künstlers Sache bleiben immer-
dar. Wo aber das Gesällige in Gegensatz tritt zur Wahrheit, da wird
er die äußere Schönheit durchbrechen, denn er wird die äußere Form
nur als den Leib empsinden können, den die Seele sich schafst. Und er
wird, ist er ein Ganzer, über die Formlosigkeit hinaus wieder zur Form
kommen, er wird neue Formen bilden sür neue Gestalt.

Denn klar, wie immer, zeigt sich auch hier, daß allein das Wie
in der Kunst das Maß gibt. Wer kennt nicht z. B. die Gretchenbilder
von Ary Scheffer oder die modernen sranzösischen zu Wagnerschen Ge-
stalten, etwa die von Rochegrosse. Hier, wo die Verarbeitung des Stoffs
durch einen deutschen Poeten vorausgegangen ist, empfinden wir's gerade
besonders stark, wie wenig diese Bilder deutsch sind. Brauche ich ander-
seits auf Fälle erst zu zeigen, wo Deutsche romanische Stoffe behandelt
haben, während das Werk doch deutsch wurde von Kopf zu Zehe? Und
behandelte einer bei uns ausschließlich deutsche, sogar deutsch-patriotische
Stoffe, es gewährte noch nicht die kleinste Bürgschaft, daß er Deutsches
schüfed Jst beispielsweise das Begassche Nationaldenkmal deutsche Kunst?
Erste Bedingung sür solche ist, daß einer ein Deutscher ist, daß er kern-
deutsch empfinde. Zweite: daß ihm Kunst nichts anderes ist, als Aus-
druck seines Jnnenlebens, als tiefestempfundene Sprache. Dann wird
er Deutsches schaffen können und anders nie.

Aunstwart
 
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