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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

DOI Heft:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1899)
DOI Artikel:
Hart, Julius: Das "Fragmentische" Lesedrama, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0060

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entzückt selbst einem lyrischen Gedicht, rvenn dabei „lebende Bilder" gestellt
werden.

Man kann also auch aus einem lyrischen Gedicht eine Theatervorstellung
machen, aber diese Kunst ist doch noch zu keinem rechten Geschästsbetriebe ge-
worden, und Thatsache ift, daß unsere Aesthetiker zwischen einem gelesenen und
und einem „aufgeführten" Poem noch keine Unterschiede gefunden haben. Eiu
Aesthetiker, der diese Einteilung zum ersten Male vornähme, würde wahr-
scheinlich sogar mit einem stürmischen Gelächter begrüßt werden.

Doch zwischen Bühnendrama und Buchdrama glauben Eingeweihte und
Laien, Kenner und Thoren aufs tiefste unterscheiden zu müssen und zu können.
Bühnendrama: dieses Wort ist für das künstlerische Empfinden unserer Zeit
der Jnbegriff des Lebendigen, des Wirkenden. Buchdrama, — so verächt-
lich wie möglich spricht's die Schlagwortkritik aus, und gleichgültig geht sie
an der totgeborenen Kunst vorüber. Unten in den Gesindestuben der Literatur,
aber auch oben in den herrschaftlichen Zimmern spielt dieses kritische Phanton
seine Rolle. Es hat auch die besseren Köpfe vollkommen verwirrt, und diese
gerade am allermeisten.

Das Platte, Nichtssagende, ganz und gar Aeußerliche der Unterscheidung
lag ja auf der Hand. Allzudeutlich stand ihr die Herkunft aus der Zeitungs-
stube auf der Stirn geschrieben. Es war ein Papierwert, wie ihn die Not des
slüchtigen Tagesschriststellers immer wieder ausgeben muß. Daß er auch von
der besseren Kritik weitergegeben wurde, beweist einerseits nur, wie kläglich
es um unser tieseres künstlerisches Wissen bestellt ist, andererseits aber auch
die Macht der Suggestion, welche der plump alltägliche Zeitungsmassengeist,
Vas häusig gebrauchte Schlagwort auch auf die seineren Geister ausüben.

Diese suchten in dem Wort, das so ganz am Oberslächlichen und Aeußer-
lichen haftete, eine tiefere Bedeutung und etwas Wesentliches. Und sie kamen
zu allerhand merkwürdigen Aussprüchen, die aber nun erst recht den Zerfall
unserer künstlerischen Bildung an den Tag brachten. Man erkannte, wie ver-
worren es selbst in den ausgeklärten Köpsen aussah. Der Kernpunkt
dieser Vehauptungen aber war, daß eine dramatische Dichtung
erst aus der Bühne zum wirklichen Leben gelange. Die theatralische
Darstellung sei eine lebensnotwendige Bedingung sür das Drama. Das
Buchdrama könne nur als ein unfertiges, halb ausgegorenes Kunst--
werk angesehen werden. Es habe gleichsam nur den Wert einer Skizze, eines
Planentwurfes. JmTheater werde ihm erst die eigentliche künstlerisch-sinn--
liche Verkörperung zum Teil. So nennt Wilhelm Scherer ohne alle Um-
schweife in seiner „Poetik" ein nicht aufgeführtes Drama nur das
Fragment eines Kunstwerkes.

Nun hat ja allerdings gerade diese Scherersche Poetik seiner Zeit mit
am deutlichsten geoffenbart, wie schlecht es selbst in unseren ossiziellen Literatur-
kreisen mit dem künstlerischen Verständnis bestellt ist. Aber das allgemeine
Empfinden kommt doch in jenem Satz leider durchaus zum Ausdruck. Es ist
durchaus keine Frage, daß in unseren meisten Kritikerköpfen dieselbe Erkennt-
nis herrscht. Eine Unterscheidung zwischen Bühnen- und Buchdrama hat ja
auch dann nur tiesercn Sinn und Verstand, wenn sie auf diesen Grundsatz sich
zuspitzt. Wenn in Wahrheit erst das aufgeführte Drama ein abgeschlossenes
Kunstwerk, das gelesene Drama aber nur das Bruchstück eines solchen ist, dann
— ja dann allerdings klafft zwischen Buch- und Bühnendrama ein Abgrund so
tief, wie er sich tieser gar nicht denken läßt. Da scheidet er ganz verschiedeno
RuuKwart

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