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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1899)
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Batka, Richard: Hans Pfitzners Musikdrama "Der arme Heinrich"
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0064

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zum Leben, die in dem Ausruf „Nicht mehr will ich gerettet sein" gipfelt und
das Wunder der Erlöfung herbeiführt, das auch uns Modernen aus fchopen-
hauerischerWeltanschauung heraus nicht unverständlich ist. Dagegenfind manche,
dem Mittelalter ganz einleuchtende Vorausfetzungen des Stoffes nicht mehr
geeignet, das Gefühl eines Menfchen der Gegenwart zu überzeugen, zumal es
dem Textdichter James Grun nicht gelang, sie wie Richard Wagner im Geifte
unserer Zeiten innerlich umzudeuten. So könnte man denndas Drama, ungeachtet
der ansprechenden Versifizierung in einer Flut von sich ungesucht darbietenden
Witzen ersäufen, wenn nicht der heilige, mit keinem Wimperzucken um die
Wirkung beim Publikum buhlende Kunsternst der beiden Autoren gerade von
der Kritik die Mühe forderte, auf ihre dramatischen Absichten gutwillig einzu-
gehen. Aber auch dann kommt man wohl darüber kaum hinaus, daß Gruns
Gestaltungskraft höheren dramaturgischen Ansprüchen im Ganzen nicht Stand
hält, obgleich man ihm einige recht glückliche Einfälle zuerkennen muß. Auch
der Schluß bringt keine voll befriedigende Lösung. Während Hartmann den
Ritter und die Maid zum guten Ende vereinigt, kümmert sich Heinrich bei
Grun nach vollzogener Heilung kaum mehr um die, welche eben noch ihr
Leben für ihn hingeben wollte. Er geht auf Wallfahrt, sie bleibt als eine
Art Heilige zurück. Nutürlich wird kein seinempfindender Mensch verlangen,
daß die so hochtrabend anhebende Geschichte trivial in ein „Sichkriegen" von
Held und Heldin auslaufe. Ja, man wird vom künstlerischen Standpunkt den
Mut anerkennen, der ein Bühnenwerk einmal ohne Entfesselung erotischer
Leidenschaften hinzustellen vermag. Fern sei also das Verlangen, daß die
strengen Mönche von Salern sich schließlich etwa zu einem sröhlichen Hochzeits-
zug ordnen und das Blutgerüst zum strahlenden Traualtar sich wandle, was
uns in einer Oper älteren Schnittes schwerlich erspart geblieben wäre. Aber
Menschen mit solchen gemeinsamen Erlebnissen wie Heinrich und Agnes gehen
darnach nicht gleichgiltig auseinander, sie gehören in irgend einer Form sürs
Leben zusammen, wir wollen sie darum zuletzt wenigstens Hand in Hand er-
blicken, statt daß Agnes auf der einen Seite des Klosterhofs beglückwünscht
wird, indessen Heinrich auf der andern Seite allerhand gute Vorfätze für eine
künftige, gottgefälligere Lebensweise saßt. Grun hatte die Sache bisher so hübsch
angelegt, man verfolgte mit Befriedigung, wie er an Stelle der verzückten
mystischen Tiraden, in denen sich die Jungfrau bei Hartmann von Aue ergeht,
an Stelle dieser fanatischen Opferlust ins Vlaue hinein, eine unbewußte mensch-
liche Neigung des Kindes zu der Person des „lieben Herrn" diskret durch-
schimmern läßt. Aber der Abstraktionsteufel sitzt den Deutschen nun einmal
im Nacken. Den epischen Dichter des alten „Armen Heinrich" ließ er erst gegen
das Ende hin los; die dramatischen Autoren des neuen packte er just im
Finale, und zwar kräftig!

Läßt fich somit gegen die dichterische Erneuerung des Stoffes durch Grun
mancherlei geltend machen, so nötigt seine musikalische Gestaltung durch Psitzner
eine Bewunderung ab, die durch den Umstand, daß es sich um üie Arbeit eines
Zwanzigjährigen handelt, kaum noch bedingt wird. Ueber sein Werk hat Hum-
perdinck, der einer üurchaus andern künstlerischen Richtung huldigt, ein begei-
stertes Urteil gesällt, und auch ich leugne keineswegs, daß meine musikdrama-
tischen Jdeale von jenen, die im „Armen Heinrich" verwirklicht sind, mitunter
weit abliegen. Aber das wäre eine beschrünkte Kritik, die bedeutende Werke
bloß nach individuellen, vorgefaßten Grundsätzen beurteilen wollte. „Sucht
davon erst die Regeln auf", muß es heißen. Jn der Geschichte der Erstlings-
Uunstwart

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