Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

DOI Heft:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1899)
DOI Artikel:
Batka, Richard: Hans Pfitzners Musikdrama "Der arme Heinrich"
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0065

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
rverke dürfte Pfitzners „Armer Heinrich" einzig dastehen, vor allem infolge der
R eise der Konzeption und Faktur, und allsogleich zeigt sich, worin seine beson-
Lere Stärke liegt: in der Harmonik, die in der That neu ist und gewitz das
Aeutzerste bezeichnet, was hierin über den „Tristan" hinaus geleistet wurde.
Weiter scheint es einstweilen wirklich mcht mehr zu gehenl Dabei ist diese
Harmonie aber nicht etwa — ich betone das — erkünstelt und erklügelt, son-
dern das Erzeugnis einer eigenartigen, hier aus dem dichterischen Vorwurf
heraus gerechtfertigten musikalischen Denkweise, in die man sich freilich erst ein
bischen einleben muh, um ihre innere Notwendigkeit zu begreisen. Die Um-
wandlung, die das heutige harmonische Empfinden durchmacht, ist im „Armen
Heinrich" fast an ihrem Endpunkt angelangt. Die alterierte Harmonie erscheint
als das Normale, der reine Dreiklang wird als besonderes Mittel der Charak-
teristik aufgespart, offenbar unter dem Einsluh der modernen psychologischen
Anschauung, wonach die „gemischten" Stimmungen das Leben beherrschen, die
reinen hingegen nur unter günstigen Umständen daraus heroorgehen. Der
innige Zusammenhang der Musik mit dem allgemeinen Geistesleben wird uns
wieder einmal klar, und die Mächte, die da am Werk sind, wird man ver-
gebens mit den Formeln der ästhetischen Schulbücher zu beschwören suchen.
Die Krast, womit Pfitzner in einem Alter, wo die Phantasie gern ins Bunte
strebt, die einmal angeschlagene Grundstimmung durch das ganze Drama fest-
zuhalten vermochte, ist erstaunlich, aber die Medaille hat auch ihre Kehrseite-
Es sehlen die scharfen Kontraste, deren das Drama für die hinreißende Bühnen-
wirkung bedarf, was freilich in erster Reihe dem Librettisten zur Last fällt.
Hand in Hand mit dem Harmoniker, der innerhalb der Musik unserer Tage
schon als scharsprofilierter Charakterkopf dasteht, geht bei Pfitzner der Kolorist
und Rhythmiker. Welche herrliche, klingende Jnstrumentation! Wenn er im
Vorspiel zum ersten Aufzug die wilde Schmerzensnacht des armen Heinrich
oder in der Einleitung zum Dritten die Furchtbarkeit der salernischen Askese
schildert, thun Höllenabgründe sich auf. Wenn er das Wehen der Frühlings-
düfte und Jtaliens goldene Aucn malt, umschweben wahrhaft paradiesische
Klänge das Ohr. Jch wüßte mich auch keiner Stelle zu entsinnen, die man als
instrumentalen Exzeß auf die Rechnung jugendlichen Ueberschwangs setzen müßte.
Die sehr ausdrucksvollen, melodisch sließenden Singstimmen haben zwar gegen
die Polyphonie des Orchesters keinen leichten Stand, aber oon überflüssigem
Decken kann keine Rede sein. Jn dritter Reihe erst kommt Pfitzner als Melo-
diker in Betracht. Die Tongedanken, mit denen er arbeitet, sind zwar meifl
solche von erster Güte, einer genialen, gegenständlichen Jntuition entsprungen
und voll musikalischen Gehaltes. Aber ihre Zahl ist nicht groß, und ich habe
den Eindruck, als dürfte man dies nicht allein aus der künstlerischen Oekonomie
erklären. Ein neues, kräftiges, strahlendes Motio würde namentlich dem Schlusse
zu statten gekommen sein.

Jst nun Pfitzner ein spezifisch dramatisches Talent zu nennen? Je nun,
wir müssen seit Wagner, der Beides in sich vereinigte, zwei Gattungen von
Musikdramatikern unterscheiden: die einen, die stets die lebendige Szene im
Auge haben und sozusagen „geschaute Musik" schreiben; die anderen, denen es
auf die inneren Vorgänge ankommt, bei denen deshalb die „empsundene
Musik" vorherrscht. Zur letzteren Gattung gehört Pfitzner, und da er dabei ein
Künstler von ausgeprägter Subjektivität ist, spricht durch den Mund seiner
Helden doch immer nur er zu uns. Was der weltweise Arzt, der feingebildete
Ritter, der biderbe Dietrich, sein schlichtes Weib und das zarte Kind musikalisch

2. Gktoberheft ^899
 
Annotationen