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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

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Heft 4 (2. Novemberheft 1899)
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Avenarius, Ferdinand: Unser Weihnachtskatalog, [7]: Naturwissenschaften
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0178

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Wahrheitssuchen zu lernen, der muß freilich vor allem zu ihm. Popularisiert sind
die eigentlich sruchtbaren Jdeen Darwins am volkstümlich - eindringlichsten in
Carus Sternes „W e r d e n und Vergehen". Der Mann ist nicht etwa
ein grober Kompilator und Bloß-Popularisator, sondern einer unserer edelsten
und wissensreichsten Naturkenner im Fach, wie zum Nutzen gewisser Blasiert-
heit absichtlich vermerkt sei. Das Buch ist zugleich ein sehr klares Volksbuch
über Erdgeschichte (Geologie uvd Paläontologie). Die sollte aber eine Grund- unv
Säulen-Wissenschaft des Gebildeten sein. Ein viel größeres geologisches Kompen-
dium ist Neumaprs „E r d g e s ch i chte". Das ist aber jetzt schon eins von den dick-
leibigen Werken des Bibliogr. Jnstituts, die sich an ben Brehm anschließen.
Diese Bücher, Neumayr, Ratzel, Kerner, Ranke, neuerdings auch eine Astro-
nomie von M. Wilhelm Meyer, sind die best illustrierten naturwissenschast-
lichen Handbücher der Gegenwart. Sie wirken schon viel durch diese Bilder.
Der Text aber fordert ernstes Studium, grade weil er gut im fachwissenschast-
lichen Sinne ist. Für das Volk aber, wie es ist, muß das alles erst noch einmal
übersetzt werden, wie aus einer fremden Sprache. Das war bei Brehm
selber nicht so. Sein einziges Hemmnis ist der Umfang, der wieder mit dem
Preis im graden Verhältnis steht. Sehr schade ist, daß es ein entsprechendes
Pslanzenbuch nicht gibt. Jenes „Pflanzenleben" des trefflichen alten Wieners
Kerner ist nur eine Art Einleitung in die Pslanzenphysiologie. Auch an Tier-
büchern ist in neuerer Zeit übrigens wenig hinzugekommen. Ausgezeichnet sind
die Säugetiere vom Direktor des Berliner Zoologischen Gartens, Heck, in einem
bei Neumann in Neudamm erschienenen zweibändigen und sehr billigen „Tier-
reich". Ein ganz verschollenes Buch muß ich ausdrücklich erwähnen: Gustav
Jägers „Leben im W a s s e r", noch jetzt eine wahre Perle vergeistigter
Zoologie, mit der ganzen Schwabenfrische Jägers herunter erzählt. Schade,
daß Vogts Bücher jetzt durchweg veraltet sind, so zu schreiben, wie er,
hat keiner mehr gelernt! Ein Feld, das der Laie unbedingt studieren muß, ist
etwas Embryologie, also Geschichte seines eigenen Werdend im Mutterleibe.
Das beste Buch ist da nach wie vor Häckels „A n t h r o p o g e n i e". Man
fürchte nicht die philosophische Ausfärbung. Ohne die sind die Sachen dem
Laien teils widerlich, teils albern, so lernt er wenigstens, daß auch diese
Dinge eine Art „heiliger Wahrheit" haben und an das Höchste des Denkens
rühren. Wer von hier aus noch weiter ins Kulturhistorische der Liebe will,
der muß unbedingt Ploß, „Das Weib in derNatur- undVölker-
kunde", lesen, eines der ganz seltenen Bücher, die als Fachwerke des ehr-
barsten Ansehens genießen und doch so gehalten sind, daß jeder klare Kopf sie
lesen kann. Da er's kann, wird er's schon thun, sobald er nur erst auf diesen
Stoff gerät. Wer das Buch aber gelesen hat, der ist vor vielen Dummheiten
auch auf fozialem Gebiete bewahrt.—Chauvinismus darf man, nebenbei be-
merkt, auf der Suche nach guter Belehrung nicht treiben. Aus der englischen
Literatur sei schlechtweg alles von Tyndall und von Huxley empfohlen. Da
kann man, was Gründlichkeit anbetrifft, stets sehr vertrauensselig sein.
Dagegen sind die Franzosen ungemein anregend und also wirksam, aber auch
ungemein oberflächlich. Flammarion ist schon halb Zules Verne. Man wird
bei diesen berufenen Stimmungs-Künstlern, deren besonderen Wert ich gar
nicht schmälern will, auch als Laie schließlich doch das große Defizit an tieserer
philosophischer Erregung merken, eine gewisse Hohlheit steckt darunter. Es wird
erst Aufgabe der Zukunft sein, das wirklich Gute, das hier angebahnt ist, mit
einer gewissen Solidität und Tiefe zu legieren. Zum Schluß noch eins. Wo-
zu immer die Bücher? Es thut not, daß wir mehr Anschauung auch in diesen
Dingen bekommen. Oeffentliche Kurse über Physik, Volks-Sternwarten, ein
rechtes Ausnutzen unserer naturhistorischen Museen. Echter und rechter „Wirk-
lichkeits-Unterricht" schon auf der Schule. Und keine Angst, daß die andere
Bildung, Aesthetik, Ethik, Weltanschauung von dieser neuen Seite her leide,
Erkenntnis vielmehr, daß sie davon nur gewinnen kann — das ist die
Hauptsache.

Nun noch ein Durcheinander von naturwissenschaftlichen Büchern, die
nützlich und gut zu lesen sind, zum fröhlichen Abschluß.

Eine ebenso lustige, wie wirklich solide und belehrende deutsche Jules
Verniade hat kürzlich unser tüchtiger Gothaer Physiker Kurd Laßwitz veröffent-
licht: „Auf zwei Planeten."

Runstwart
 
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