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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1899)
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Göhler, Georg: Peter Cornelius
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0236

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er wieder heimkehren. Vieles lag angefangen da, manche Woche war
nutzlos vergeudet, manche Jllusion längst zu Grabe getragen. Die
Deutschen hatten wieder einmal nicht gewußt, was sie mit einer
Himmelsgabe ansangen sollten. Und nun sitzen wir wieder mit dem
stolzen Vers: „denn er war unser!" aus dem Sopha und freuen uns,
wie schön dies Weihnachtskind trotzdem war — und inzwischen läust
ein anderes wieder auf der Gasse herum und friert.

Peter Cornelius ist nicht das geworden, was er hätte werden
können, weder sür seine Zeit, noch sür die Nachwelt.

Für seine Zeit war er eines der treuesten, gebildetsten und selb-
ständigsten Glieder des Lisztschen Kreises. Er hat sür diesen in seiner
poetisch seinen Art gewirkt, als Helfer Liszts, der ihm besonders aus-
gezeichnete Uebersetzungen zu danken hat, als Kenner Wagners, über den
er interessante Abhandlungen geschrieben hat, schließlich als Komponist.
Als solcher hat er auch sür uns eine ganz bestimmte Bedeutung, die
zwar nicht weit, aber ties geht. Peter Cornelius gehört zu den wenigen
aus der Masse der Liszt- und Wagnerianer, deren Eigenart nicht in der
Nachahmung ihrer Meister untergegangen ist. Er nennt sich selbst in
dem Fragment seiner Autobiographie (Mus. Wochenblatt, Jahrg. (87^)
einen „Nebenmenschen". Sehr richtig, wenn man nicht vergißt, aus die
zweite Silbe einen bestimmten Akzent zu legen. Unter der eben erwähnten
Masse sind ja viele Herdentiere gewesen. Cornelius gehört nicht dazu; und
neben Liszt und Wagner als Mensch, als künstlerischer Mensch bestehen
zu können, ist schon ein Zeichen von Bedeutung. Das Charakteristische
sür Cornelius ist die innige Verbindung, in der Wort und Ton in seiner
Kunst stehen. Seine herausgegebenen Werke sind durchweg Vokalmusik
und zwar ganz überwiegend Kompositionen eigener Gedichte. Seine
Kunst hat in sormeller Beziehung deshalb einen ganz spezisischen Reiz;
sie ist rhythmisch und metrisch äußerst interessant, der Ausbau seiner
Lieder ist stets eigenartig kunstvoll und doch ungezwungen, weil die
Gliederung ebenso wie seine teilweise höchst kühne und srappierende
Harmonisation stets poetisch gerechtfertigt ist. Was in den wenigen
Werken sür ein künstlerischer Reichtum steckt, wissen sreilich sogar unter den
Fachmusikern manche nicht zu würdigen. Es liegt eben zu wenig platt
auf der Hand! — Neben diesen sormellen Kennzeichen der Schreibweise
des Künstlers ist zu betonen die Eigenart seines künstlerischen Empfin-
dens. Seinem ganzen Lebensgange, seiner Nebenmenschennatur gemäß
sind die eigentlich großen heldenhaften Stimmungen nicht in seinen Werken,
das Bezeichnende bleibt eine seinpoetische Aussassung und Gestaltung all-
gemein menschlicher Gefühle; den Vorrang unter diesen nehmen Gedanken
über Liebe und Tod ein. Aber in der künstlerischen Ausgestaltung dieser
Vorwürfe dürfen wir Cornelius mit den ersten Meistern aller Künste
vergleichen. Es gibt unter den Künstlern zwei Extreme, denen man
überall begegnet. Das eine sind die hausbackenen Techniker, die Alles
können, was dazu gehört, die auch ihr Quentchen Sinn sür Kunst haben,
die aber nicht „Leben aus Leben, sondern Literatur aus Literatur" schaffen.
Das sind die Leute, die ewig im nüchternen Takt malen, dichten
und komponieren. Das andere Extrem stellen die vor, welche die
seinen Nerven haben, Alles bis ins Kleinste poetisieren und schließlich
ganz zersließen. Aber die Großen stehen auf der Höhe zwischen diesen
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