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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

DOI Heft:
Heft 9 (1. Februarheft 1900)
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Batka, Richard: Neue Bücher über Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0352

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Vorstellung, die sich das große Publikum von der Sache macht? Und bei allen
denen, die da sragen: »kann denn die Musik bestimmte Gedanken ausdrücken?«,
zittert wenigstens ein Restchen vondieser »volkstümlichen« Ansicht nach. Sie haben
sich alle noch nie gefragt, ob denn die Programmusik wirklich Gedanken und
Jdeen^in dieser engumschriebenen Weise ausdrücken will. Hätten sie diese
Frage gestellt, so würden sie bald gemerkt haben, daß das gar nicht der Fall
ist; denn die Programmusik ist wohl in einem gewissen höheren Sinne »Dich-
tung«, aber sie ist niemals Wortdichtung, sondern bleibt immer in erster
Reihe Musik. Sie gibt dichterische Gedanken wieder, wie ein Gemälde, wie
eine Statue sie wiedergeben kann und nicht weniger bestimmt." Jm übrigen
verweise ich auf die sehr gefällig ausgestattete, mit Zeichnungen von Fidus ge-
schmückte Broschüre selbst.

Geschichte des Minnesangs von E. Stilgebauer, Privat-
dozent in Lausanne (Weimar, E. Felber) — mit welcher Begierde grifs ich zu
diesem neuen Buche. Da wird man — war zu erwarten — die neuesten Er--
gebnisse der Forschung bequem beisammen finden, da wird man sich über den
Stand der heutigen Erkenntnis rasch orientieren können. Denn welchen Zweck
hätten denn solche Werke, als uns die Lektüre von so und soviel verstreuten
Büchern und Spezialartikeln zu ersparen? Daß Stilgebauer diefen Ansprüchen
in keiner Weise genügt, haben seine Fachgenossen bereits festgestellt. Den Musik-
sreunden unter unsern Lesern sei noch gesagt, daß sie auch eine übersichtliche
Zusammenfassung der Arbeiten über die musikalische Praxis der Minnesänger
vergebens suchen würden, obzwar sie das nach dem Titel eigentlich erwarten
dürften. Warum heißt es nicht richtig: Geschichte der Minned ich tung? Diese
irreführende Bezeichnung literarischer Erzeugnisfe ift ein Uebel, dem man recht
nachdrücklich entgegentreten müßte.

Ueber „die dramatische Orcheftik der Hellenen" handelt
ein neues Buch von Chriftian Kirchhoff. Es ift ein gelehrtes Werk,
mehrere Jahrzehnte hat der Verfasfer mit deutscher Professorengründlichkeit
daran gearbeitet, die Herausgabe (bei B. G. Teubner in Leipzig) erlebte er
nicht mehr. Philologische Kritik mögen Andere daran üben; ich will unseren
Lesern nur den guten Grundgedanken Kirchhoffs übermitteln, welcher darlegt,
daß in der Komposition der altgriechischen Chorgesänge nicht abstrakt musikalische
Momente den Ausschlag gaben, sondern orchestische, d. i- choreographische.
Erst wurden die Tänze oder die Linien der Umzüge ersonnen, dann Worte und
Weise des dazu zu singenden Chores. Der Text und seine Melodie richtete sich
nach dem Rhythmus der Bewegung, die metrischen Schemata sind zunächst
choreographische gewesen. Kirchhoff rekonstruierte danach aus den Maßen und
dem Bau der Chortexte im „Hippolytos" des Euripides die Bewegungen und
Stellungen der Choreuten nach Schrittlänge und Richtung, und seine Hypothese
gewinnt an Wahrscheinlichkeit durch den Umstand, daß die oon ihr geforderten
Raumverhältnisse der antiken Bühne unabhängig davon durch Messungen der
Altertumsforscher übereinkommend ermittelt worden sind. Welche aktuellen
Anregungen für die Kunst der Gegenwart sich aus solch einem, scheinbar der
toten „Wissenschaft" angehörigen Werke schöpsen lassen, soll in einem besonderen
Aufsatze erörtert werden. Richard Batka.

Runstwart

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