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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

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Heft 10 (2. Februarheft 1900)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0400

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Kleist: Nun?

Marianne: Ach — ich meine nur so — Du könntest nun wirktich
mit ihm sprechen Es ist doch schon ganze acht Tage her — daß du — nicht?
(Sie blickt ihn oerliebt an, und drückt seine Hand, lebhaft.) Weißt du — heut
Abend wäre die beste Gelegenheit. Der Vater ist immer guter Laune, wenn
er viel getrunken hat. — Ach Gott! nein, ich bin ja ganz närrisch vor Ver-
gnügen- — Nun — was sagst du dazu?

K I e i st (blickt sie ernst an): Marianne!

Marianne: Wie du das sagst: Marianne! Als ob ich wirklich was
Böses gethan hätte. — Ach, warum bist du nur so ernst?

Kleist: Ja, ich bin ernst.

Marianne: Ach ja — sehr ernst — und manchmal bist du auch so
traurig, so — ich verstehe gar nicht, wie. Und ich — ich weiß nicht, was ich
vor Uebermut angeben soll.

K l e i st: Du bist ganz anders, als ich dich gedacht.

Marianne: Nichtwahr, du hast mich sür so ein sentimentales Mäd-
chen gehalten — sür so ein — Kätchen von Heilbronn — nichtwahr? — das
bin ich gar nicht. Aber ich bin ja so vergnügt — so — küsse mich! Za bitte,
küsse mich! — So wie du neulich küßtest — weißt du — so küsse mich jetzt.
Sonst thue ich's selbst. (Sie umarmt ihn.)

K l e i st: Kind — aber —

Marianne: Ach du — weißt du — die alte Dechtel — Fräulein vou
Dechtel, die ist so böse auf mich — Gott, so fürchterlich böse! — L'est tres
rvkcavais Zevre, sagt sie immer. — Ha ha ha! Die alte Dechtel! — Du, die
behalten wir nicht. Sie ist so hochmütig und eingsbildet ich mag sie gar-
nicht leiden. Wie ein kleines Kind behandelt sie mich. — Weißt du was —
nein, daß muß ich dir erzählen. (ihm ins Ohr.) Sie hat falsche Zähnel —
ein ganz richtiges Gebiß — jawohl! Jch hab's neulich durchs Schlüsselloch
gesehen. — Jst das nicht lächerlich? nicht! — So lache doch!

Jn einer solgenden Szene tritt Vogel, Henriettens Mann, demütig zu
Kleist und bittet ihn, ihm die volle Liebe seiner Frau wieder zu verschassen.
Kleist verspricht es. Aber neue Takt- und Verständnislosigkeiten sorgen dafür,
daß Henriettens leidenschastliches Todessehnen über seine kranke Seele trotzdem
Macht gewinnt.

(Marianne durch die Mitte, hüpfend. Da sie Henriette erblickt, macht sie Halt.)

Marianne: AHI — Jch wollte nur —

Henriette: Jch werde nicht stören. — (Sie geht nach links, wo sie
das Fenster öffnet und in die Nacht hinaus blickt.)

Marianne (mit Kleist rechts vorn): Ach, Frau Vogel ist also mit
dir — nun — dann kann ich mir schon denken —

Kleist: Was kannst du dir denken?

Marianne: Jch habe alles gehört über sie. —

Kleist: Was hast du gehört?

Marianne: Eben, daß sie eine sixe Jdee hat.

Kleist: Wer hat sich unterstanden l

Marianne: Pst — pst! Werde doch nicht gleich so böse — Herr
Adam Müller — der lacht auch über sie.

Kleist: Was hat er dir gesagt über Henriette? — Jch will's wissen '

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