das festzustellen, wäre das sorgfälttge Untersuchcu ciuiger Huudert moderuer
Gedichte nötig, das man zwar im Kopfe im Laufe der Zeit ohne Mühe
vornehmen kann, aber nicht so ohne weiteres auf dem Papier, da dazu
ein Buch gehören würde. Vielleicht aber ist es möglich, auf beschränktcrem
Raume zunächst einmal wcnigstens der wichtigen Stilfrage näher zu
treten: Wie unterscheidet sich der moderne lyrische Stil von dem alten?
Jch nehme einige Gcdichtsammlungen zur Hand, die mir gerade
zur Besprechung vorliegen. Unter „Stil" in dem heute behandelten Sinne
verstehe ich den allgemeinen Zeitcharakter einer Poesie, also das, was sprach-
lich und formell allen Dichtern einer Zeit oder einer Richtung gemein-
schaftlich ist und sie von denen anderer unterscheidet. Man braucht nicht
Dichter ersten Ranges, um diesen Stil festzustellen, man wird ihn am
meisten sogar bei mittleren Talenten ausgebildet stnden, da bei großen
der persönliche Stil diesenZeitstil wieder mannigfach abwandelt. Heinrich
Bulthaupts nun schon in dritter, vermehrter Auflage vorliegende
Sammlung „Durch Frost und Gluten" (Oldenburg, Schulze), Karl
Henckells gesammelte „Gedichte" (Zürich, Henckell), Lisa Baumfelds
„Gedichte" (Wien, Gesellschast für graphische Jndustrie) und „Gedichte"
von Kurt Aram (Dresden, Pierson) — das sind die Bände, an die
ich meine Bemerkungen anknüpfen möchte. Bulthaupt, dessen Bedeutung
ja übrigens auf einem anderen Gebiete als dem lyrischen liegt, gehört
im ganzen zur alten Schule, Henckell, einer der kühnsten Stürmer und
Dränger, bezeichnet den Uebergang, während die am 3. Februar (89?
neunzehnjährig verstorbene Lisa Baumfeld und Kurt Aram durchaus
modern sind. Es wird sich empfehlen, bei allen vieren ein bestimmtes
Gedicht ins Auge zu sassen, um die Art des lchrischen Ausdrucks bis ins
einzelne festzustellen.
Von Bulthaupt wähle ich das Gedicht „Wintersturm":
Aus dem rauschenden Gedränge
Schleich' ich in die Nacht verstohlen,
Kreischend flattern mir zu Häupten
Die emporgcscheuchtcn Dohlen.
Knurrend zerrt an meinem Rocke
Kalter Nord mit scharfcn Zähnen,
Und in meine Augcn treten
Lang nicht mehr geweinte Thrünen.
Sturm dcs Winters, laß sie starren,
Die dic Menschcn niir erpreßtcn,
Schaffe, daß die weichcn Sehncn
Sich verhärten, sich verfestcn.
Sende deine Eisgcschossc
Pfeifend von der Wolkenzinne,
Dasz ich, mannhaft mit dir ringcnd,
Mir die alte Kraft gewinne.
Daff das Leidensmal erblciche,
Das mir in die Stirn gekerbt,
Und die Wange ncu sich röte,
Die die Welt mir blaß gefürbtl
tlunstwart
8
Gedichte nötig, das man zwar im Kopfe im Laufe der Zeit ohne Mühe
vornehmen kann, aber nicht so ohne weiteres auf dem Papier, da dazu
ein Buch gehören würde. Vielleicht aber ist es möglich, auf beschränktcrem
Raume zunächst einmal wcnigstens der wichtigen Stilfrage näher zu
treten: Wie unterscheidet sich der moderne lyrische Stil von dem alten?
Jch nehme einige Gcdichtsammlungen zur Hand, die mir gerade
zur Besprechung vorliegen. Unter „Stil" in dem heute behandelten Sinne
verstehe ich den allgemeinen Zeitcharakter einer Poesie, also das, was sprach-
lich und formell allen Dichtern einer Zeit oder einer Richtung gemein-
schaftlich ist und sie von denen anderer unterscheidet. Man braucht nicht
Dichter ersten Ranges, um diesen Stil festzustellen, man wird ihn am
meisten sogar bei mittleren Talenten ausgebildet stnden, da bei großen
der persönliche Stil diesenZeitstil wieder mannigfach abwandelt. Heinrich
Bulthaupts nun schon in dritter, vermehrter Auflage vorliegende
Sammlung „Durch Frost und Gluten" (Oldenburg, Schulze), Karl
Henckells gesammelte „Gedichte" (Zürich, Henckell), Lisa Baumfelds
„Gedichte" (Wien, Gesellschast für graphische Jndustrie) und „Gedichte"
von Kurt Aram (Dresden, Pierson) — das sind die Bände, an die
ich meine Bemerkungen anknüpfen möchte. Bulthaupt, dessen Bedeutung
ja übrigens auf einem anderen Gebiete als dem lyrischen liegt, gehört
im ganzen zur alten Schule, Henckell, einer der kühnsten Stürmer und
Dränger, bezeichnet den Uebergang, während die am 3. Februar (89?
neunzehnjährig verstorbene Lisa Baumfeld und Kurt Aram durchaus
modern sind. Es wird sich empfehlen, bei allen vieren ein bestimmtes
Gedicht ins Auge zu sassen, um die Art des lchrischen Ausdrucks bis ins
einzelne festzustellen.
Von Bulthaupt wähle ich das Gedicht „Wintersturm":
Aus dem rauschenden Gedränge
Schleich' ich in die Nacht verstohlen,
Kreischend flattern mir zu Häupten
Die emporgcscheuchtcn Dohlen.
Knurrend zerrt an meinem Rocke
Kalter Nord mit scharfcn Zähnen,
Und in meine Augcn treten
Lang nicht mehr geweinte Thrünen.
Sturm dcs Winters, laß sie starren,
Die dic Menschcn niir erpreßtcn,
Schaffe, daß die weichcn Sehncn
Sich verhärten, sich verfestcn.
Sende deine Eisgcschossc
Pfeifend von der Wolkenzinne,
Dasz ich, mannhaft mit dir ringcnd,
Mir die alte Kraft gewinne.
Daff das Leidensmal erblciche,
Das mir in die Stirn gekerbt,
Und die Wange ncu sich röte,
Die die Welt mir blaß gefürbtl
tlunstwart
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