bahnen, des Straßenverkehrs und des Handels für uns mit der ver-
körperten Trostlosigkeit und dem Grauen vor dem Leben verknüpft sein soll.
Jch zeige in Abb. ZH und 55 zwei ländliche Betriebe; den ersteren
aus den 50er Jahren und den zweiten aus den ZOer Jahren. Neden
diese Bilder nicht Bücher? Und nun stelle man sich noch dazu vor, was.
man im Bilde nicht sehen kann, datz das neue Haus mit Glanzziegeln
eingedeckt ist, die nie Patina bekommen, die stets wie frischlackiertes Blech
bei Regenwetter aussehen.
Das Schlimmste ist bei uns zu Lande, daß alles immer und immer
wieder mißverstanden wird. Die Leute haben eben nicht die Zeit, zu-
zuhören; sagt man ihnen, das Schema unserer Fabriken, Eisenbahn-
wärterhäuser und Brücken sei unerträglich, so kann einem passieren, daß
man gefragt wird, ob man denn auch diese Bauten im „Sezessions"-
oder „Jugend-Stile" gebaut wissen wolle. Nnter diesem Namen um-
faßt nämlich heute der Banause das, was er sich unter Neuerem vorstellt.
Unser altes Brückchen (Abb. 56) hat rein nichts mit Stilfexerei zu
thun. Es ist einfach erfreulich. Der Tchpus der Brttcken aber, die heute
gebaut werden, ist nichts weniger als erfreulich, sondern 'es ist die reinste
Verkörperung der Stimmung Trostlosigkeit. Allerdings: hier ist zur
Abwechselung auch einmal das Häßlichere das Billigere, denn diese
Brücken und Geländer können beinahe „fertig bezogen" werden. Früheren
Zeiten muß das Gefühl für den sittlichen Wert eines guten Bauwerks
geläufiger gewesen sein, denn sie scheuten die Kosten nicht, obgleich sie be-
kanntlich ärmer waren, oder wohl richtiger: sie verteilten die Bedürf-
nisse richtiger. Heute wird vielleicht eine Gemeinde um 50 Mark willen
eine Bachbrücke verderben, sich dabei aber nicht mit ihrem alten Kirch-
lein begnügen, sondern eine sauber auf dem Papier erdachte Parvenu-
und Protzenkirche hinstellen. paul 5 ch ultz e - Na u,n b ur g.
Sprecksaal.
Oas Oeutsck in ller Lckule.
Wer sich den Bildungs- und Wissensstand eines heutigen Gpmnasial-
oder Realschul-Abiturienten näher besieht, dem sällt bekanntlich vor allem eines
auf: das Halb- und Scheinwissen, das prunkende Vielwissen, das an alle Dinge
mit roher Hand bereits gerührt hat, ohne auch nur für eins sich ein tieferes
und reicheres Verständnis anzueignen. Eine phrasenhafte Behandlung aller
Wissenschaftlichkeit, ein gedankenloses Plätschern an der Oberfläche, ohne jeden
ernsthaften Versuch einmal in der Tiese Fragen zu berühren, durch die viel-
leicht der Gang der Tretmühle aufgehalten werden könnte, eine Unterdrückung.
aller feineren wissenschaftlichen und religiösen Anschauungen, ein starres Fest-
halten an Dogmen auf allen Gebieten — das scheint dann die Signatur unserer
heutigen Schule zu sein.
Ein derartiges verständnisloses Vielwissen aber, wie es die heutige Durch-
schnittsschulbildung erzcugt, ist noch schlimmer als gar kein Wissen. Es scheint
Häuser zu bauen, zwischen denen man leben kann, in Wahrheit baut es Karten-
häuscr, die der leiseste Anstoß durch ein ernsteres Fragen über den Haufen
wirft. Aber es heitzt eben, eine „gcbildete" Jugend, „gebildete" Menschen zu
schaffen, und dicse Aufgabe versteht man so: jedem durch eine Art Dressur
l- Märzheft ,yo;
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körperten Trostlosigkeit und dem Grauen vor dem Leben verknüpft sein soll.
Jch zeige in Abb. ZH und 55 zwei ländliche Betriebe; den ersteren
aus den 50er Jahren und den zweiten aus den ZOer Jahren. Neden
diese Bilder nicht Bücher? Und nun stelle man sich noch dazu vor, was.
man im Bilde nicht sehen kann, datz das neue Haus mit Glanzziegeln
eingedeckt ist, die nie Patina bekommen, die stets wie frischlackiertes Blech
bei Regenwetter aussehen.
Das Schlimmste ist bei uns zu Lande, daß alles immer und immer
wieder mißverstanden wird. Die Leute haben eben nicht die Zeit, zu-
zuhören; sagt man ihnen, das Schema unserer Fabriken, Eisenbahn-
wärterhäuser und Brücken sei unerträglich, so kann einem passieren, daß
man gefragt wird, ob man denn auch diese Bauten im „Sezessions"-
oder „Jugend-Stile" gebaut wissen wolle. Nnter diesem Namen um-
faßt nämlich heute der Banause das, was er sich unter Neuerem vorstellt.
Unser altes Brückchen (Abb. 56) hat rein nichts mit Stilfexerei zu
thun. Es ist einfach erfreulich. Der Tchpus der Brttcken aber, die heute
gebaut werden, ist nichts weniger als erfreulich, sondern 'es ist die reinste
Verkörperung der Stimmung Trostlosigkeit. Allerdings: hier ist zur
Abwechselung auch einmal das Häßlichere das Billigere, denn diese
Brücken und Geländer können beinahe „fertig bezogen" werden. Früheren
Zeiten muß das Gefühl für den sittlichen Wert eines guten Bauwerks
geläufiger gewesen sein, denn sie scheuten die Kosten nicht, obgleich sie be-
kanntlich ärmer waren, oder wohl richtiger: sie verteilten die Bedürf-
nisse richtiger. Heute wird vielleicht eine Gemeinde um 50 Mark willen
eine Bachbrücke verderben, sich dabei aber nicht mit ihrem alten Kirch-
lein begnügen, sondern eine sauber auf dem Papier erdachte Parvenu-
und Protzenkirche hinstellen. paul 5 ch ultz e - Na u,n b ur g.
Sprecksaal.
Oas Oeutsck in ller Lckule.
Wer sich den Bildungs- und Wissensstand eines heutigen Gpmnasial-
oder Realschul-Abiturienten näher besieht, dem sällt bekanntlich vor allem eines
auf: das Halb- und Scheinwissen, das prunkende Vielwissen, das an alle Dinge
mit roher Hand bereits gerührt hat, ohne auch nur für eins sich ein tieferes
und reicheres Verständnis anzueignen. Eine phrasenhafte Behandlung aller
Wissenschaftlichkeit, ein gedankenloses Plätschern an der Oberfläche, ohne jeden
ernsthaften Versuch einmal in der Tiese Fragen zu berühren, durch die viel-
leicht der Gang der Tretmühle aufgehalten werden könnte, eine Unterdrückung.
aller feineren wissenschaftlichen und religiösen Anschauungen, ein starres Fest-
halten an Dogmen auf allen Gebieten — das scheint dann die Signatur unserer
heutigen Schule zu sein.
Ein derartiges verständnisloses Vielwissen aber, wie es die heutige Durch-
schnittsschulbildung erzcugt, ist noch schlimmer als gar kein Wissen. Es scheint
Häuser zu bauen, zwischen denen man leben kann, in Wahrheit baut es Karten-
häuscr, die der leiseste Anstoß durch ein ernsteres Fragen über den Haufen
wirft. Aber es heitzt eben, eine „gcbildete" Jugend, „gebildete" Menschen zu
schaffen, und dicse Aufgabe versteht man so: jedem durch eine Art Dressur
l- Märzheft ,yo;
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