danach hungern und dürsten. Man sollte auch die Brücken nicht mit
Schlagbäumen versehen, die Brücken, welche über die tiefe Kluft der
Weltanschauung von einer Klasse des Volkes zur anderen führen.
Je mehr Brücken geschlagen werden, um so besser! Die Kunst
bedeutet eine solche Brücke, weil sie ein Lebensbedürfnis ist, das allen
gemeinsam sein könnte und sollte. Die Kunst ist angeblich inter-
national, sie sollte vor allem intersozial sein!
Es wäre die höchste Mission, die ich mir für die Kunst denken
könnte, wenn sie uns ein Land schüfe, in welchem sich die feindlichen
Brüder zusammenfänden zum Frieden. Miles.
vas klassiscke vrLrna auf cier nioclernen kükne.
Der Kultus, den man auf unseren Bühnen dem klassischen Drama
angedeihen läßt, macht den Eindruck eines Gottesdienstes ohne Religion.
Ein gewisser Respekt vor der Ueberlieferung, ein äußerlicher Ritus ist
geblieben, die geschäftskundigen Direktoren betrachten sogar das klassische
Drama mit dem Wohlwollen des Kaufmanns für einen „Artikel", der
noch immer „geht", und aus dem durch geschickten Betrieb noch viel
Kapital zu schlagen ist. Sie benutzen daher mit Vergnügen die herrschende
Anschauung, wonach es für verdienst- und ehrenvoll gilt, daß die Werke
von Goethe, Schiller, Shakespere u. s. w. „zur Aufführung gelangen",
und thun fich etwas darauf zu gutc, wenn fie in klassischem Deutsch
„klassische Vorstellungen" ankündigen. Aber es fehlt mit der rechten
Pietät das rechte Verständnis. Jch spreche dabei nicht nur von den
kleineren Provinzbühnen, wo man fich großen szenischen Aufwand nicht
leisten kann, und wo das Personal für figurenreiche Stücke nicht aus-
reicht, wo also die stolzen Gestalten der Dichter, Fürsten und Feldherrn,
römische Senatoren und englische Lords, von Nebenkräften gespielt werden
müssen, denen man womöglich gleich ein paar Rollen auf die fchwachen
Schultern packt. Auf den größeren Theatern kommen dergleichen Uebel-
stände freilich nicht vor, und der Gipfelpunkt der Misäre, wie er sich
in den schlechtvorbereiteten Schülervorstellungen zu halben Preisen zeigt —
nach dem Wahlspruch: „Für unsere Jugend ist das Schlechteste gut
genug" — bleibt ihnen erspart. Aber auch hier ist das Wesentliche,
der Stil der Darstellung, verloren gegangen.
Was für ein Stil hier erforderlich ist, das wird für keinen, der
das klassische Drama kennt und liebt, in Frage kommen. Es ist derselbe
Stil, den Goethe und Schiller in ihrer Thätigkeit am Weimarer
Theater zu begründen suchteu: es ist im wesentlichen ein Stil der
Deklamation. Daß die Deklamation auf der Bühne keine leichte Sache
ist, bezeugt schon der Schillersche Ausspruch: „Deklamation ist immer
die erste Klippe, woran unsere mehrsten Schauspicler scheitern". Unsere
Darsteller aber verstehen es mit seltencn Ausnahmen überhaupt nicht
mehr, zu „deklamieren".
Zum Teile liegt das ja daran, daß fie vornehmlich für das
moderne Drama ausgebildet sind, welches einen ganz andern Dar-
stellungsstil verlangt, ja das deklamatorische Element geradezu verivirft.
Der Hauptunterschied beider Gattungen — nicht der Wertunterschied —
besteht, kurz ausgedrückt, in dem antilyrischen Wesen des modernen
Aknstwart
5^4
Schlagbäumen versehen, die Brücken, welche über die tiefe Kluft der
Weltanschauung von einer Klasse des Volkes zur anderen führen.
Je mehr Brücken geschlagen werden, um so besser! Die Kunst
bedeutet eine solche Brücke, weil sie ein Lebensbedürfnis ist, das allen
gemeinsam sein könnte und sollte. Die Kunst ist angeblich inter-
national, sie sollte vor allem intersozial sein!
Es wäre die höchste Mission, die ich mir für die Kunst denken
könnte, wenn sie uns ein Land schüfe, in welchem sich die feindlichen
Brüder zusammenfänden zum Frieden. Miles.
vas klassiscke vrLrna auf cier nioclernen kükne.
Der Kultus, den man auf unseren Bühnen dem klassischen Drama
angedeihen läßt, macht den Eindruck eines Gottesdienstes ohne Religion.
Ein gewisser Respekt vor der Ueberlieferung, ein äußerlicher Ritus ist
geblieben, die geschäftskundigen Direktoren betrachten sogar das klassische
Drama mit dem Wohlwollen des Kaufmanns für einen „Artikel", der
noch immer „geht", und aus dem durch geschickten Betrieb noch viel
Kapital zu schlagen ist. Sie benutzen daher mit Vergnügen die herrschende
Anschauung, wonach es für verdienst- und ehrenvoll gilt, daß die Werke
von Goethe, Schiller, Shakespere u. s. w. „zur Aufführung gelangen",
und thun fich etwas darauf zu gutc, wenn fie in klassischem Deutsch
„klassische Vorstellungen" ankündigen. Aber es fehlt mit der rechten
Pietät das rechte Verständnis. Jch spreche dabei nicht nur von den
kleineren Provinzbühnen, wo man fich großen szenischen Aufwand nicht
leisten kann, und wo das Personal für figurenreiche Stücke nicht aus-
reicht, wo also die stolzen Gestalten der Dichter, Fürsten und Feldherrn,
römische Senatoren und englische Lords, von Nebenkräften gespielt werden
müssen, denen man womöglich gleich ein paar Rollen auf die fchwachen
Schultern packt. Auf den größeren Theatern kommen dergleichen Uebel-
stände freilich nicht vor, und der Gipfelpunkt der Misäre, wie er sich
in den schlechtvorbereiteten Schülervorstellungen zu halben Preisen zeigt —
nach dem Wahlspruch: „Für unsere Jugend ist das Schlechteste gut
genug" — bleibt ihnen erspart. Aber auch hier ist das Wesentliche,
der Stil der Darstellung, verloren gegangen.
Was für ein Stil hier erforderlich ist, das wird für keinen, der
das klassische Drama kennt und liebt, in Frage kommen. Es ist derselbe
Stil, den Goethe und Schiller in ihrer Thätigkeit am Weimarer
Theater zu begründen suchteu: es ist im wesentlichen ein Stil der
Deklamation. Daß die Deklamation auf der Bühne keine leichte Sache
ist, bezeugt schon der Schillersche Ausspruch: „Deklamation ist immer
die erste Klippe, woran unsere mehrsten Schauspicler scheitern". Unsere
Darsteller aber verstehen es mit seltencn Ausnahmen überhaupt nicht
mehr, zu „deklamieren".
Zum Teile liegt das ja daran, daß fie vornehmlich für das
moderne Drama ausgebildet sind, welches einen ganz andern Dar-
stellungsstil verlangt, ja das deklamatorische Element geradezu verivirft.
Der Hauptunterschied beider Gattungen — nicht der Wertunterschied —
besteht, kurz ausgedrückt, in dem antilyrischen Wesen des modernen
Aknstwart
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