zu töten, über seine Kräfte geht. Schade, daß die Szene dem Dichter nicht recht
sinnengefällig gelungen ist, da er dieses Motiv durch ein zweites, durch ein
Losgehn Adams gegen Kain durchkreuzt und in seiner unmittelbaren Wirkung
abschroächt. Der Fluch des Herrn verdammt Kain zu ewiger Unrast; unter
einem schrecklichen Gewitter, das auch alle Elemente des Orchesters entfesselt,
zieht er mit Weib und Kind ins Elend der hohen Gebirge.
Eugen dÄlberts Musik ist die Schöpfung eines echten Dramatikers und
gehört entschieden zu dem Allerwirksamsten der neueren Zeit. Zum Erfolge
beim Publikum trägt allerdings die Kürze nicht wenig bei: denn so einprägsam
jedes der Motive, so klar ihre Verarbeitung, so ausdrucksvoll die Deklamation,
so faßlich die Melodik und so berückend der Klangzauber ist: durch drei lange
Akte wäre die Aufnahmefähigkeit der Hörer dem modernen Stil eben nicht
gewachsen. Dazu ist die Stimmung götterdämmerlich düster, und was der
geschickte Theatraliker Bulthaupt an hellen Kontrastwirkungen hineingelegt hat,
z. B. den Tagcsanbruch, das hat der Künstler dÄlbert wiever auf den Grund-
ton herabgedämpft. Die H-Tonarten wiegen vor: der Morgen, der da leuchtet,
ist nicht frisch und erquickend, sondern wetterträchtig und schwül. Diese Kraft
zu einheitlichem Kolorit im Verein mit einer — wenn wir sein vorletztes Werk,
die „Abreise" vergleichen — wayrhaft proteusartigen, den Stoffen gemäßen
Wandelbarkeit berechtigen dazu, dÄlbert als dramatischen Tondichter unter die
wenigen Berufenen zu zählen. Daß keine geschlossene Kligue Hosianna schreiender
Anbeter hinter ihm herläuft, ist geeignet, uns seine Erscheinung nur noch vor-
nehmer und sympathischer zu machen. R. B.
Ikulturarbetten. 3.
Man könnte vielleicht bei meiner Sammlung denken, ich hätte nur
das Groteskeste und Läppischste im ganzen Lande zusammengetragen,
um mit ihm als „Gegenbeispielen" einen Trumpf auszuspielen. Wer mit
offenen Augen in Deutschland und im Auslande umhergelaufen, weiß,
daß dcm nicht so ist. Unsre Abbildungen bleiben ganz im Rahmen des
Charakteristischen; die Gegenbeispiele sind sogar fast alle dem nächsten
Umkreis meines Hauses, nicht weiter als sO Minuten im Radius, ent-
nommen. Bei denen, die ich als Beispiele für gute und echte Kultur
bringe, habe ich durchweg jene kunstgeschichtlich katalogisierten Denkmäler
vermieden, die als Spitzen hoher Kunstentwicklung mit Recht allgemein
gekannt und verehrt werden. Von denen ist genug gesprochen worden.
Meine Absicht hier ist es, auf das Unscheinbare, gleichsam auf die All-
tagskost hinzuweisen, wie wir sie brauchen und wie sie einst da war.
Vielleicht trägt die Beröffentlichung ein wenig dazu bei, das unschätzbar
Gute in jenen schlichten Resten zu erkennen und etwas verständiger mit
ihm umzugehen, als es bisher geschah.
Wo es mir möglich, möchte ich unsern Lesern auf derselben Seite
immer das Alte und den Ersatz durch das Neue selbst vorführen. Wegen
äußerlicher Schwierigkeiten geht dies nicht immer an. Wohl aber lassen
sich immer ganz entsprechende Anlagen bringen.
Abb. 8 zeigt einen Garteneingang, den uns eines der letzten
Jahre beschert hat. Dies sinnlose papperne Gebäude ist ganz das, was
heut bei uns überall an den Straßen und Wegen blüht. Und darf man
den Zimmermeistern, die es entwerfen, die Häßlichkeit so hoch anrechnen?
I. Novemberheft 1900
sinnengefällig gelungen ist, da er dieses Motiv durch ein zweites, durch ein
Losgehn Adams gegen Kain durchkreuzt und in seiner unmittelbaren Wirkung
abschroächt. Der Fluch des Herrn verdammt Kain zu ewiger Unrast; unter
einem schrecklichen Gewitter, das auch alle Elemente des Orchesters entfesselt,
zieht er mit Weib und Kind ins Elend der hohen Gebirge.
Eugen dÄlberts Musik ist die Schöpfung eines echten Dramatikers und
gehört entschieden zu dem Allerwirksamsten der neueren Zeit. Zum Erfolge
beim Publikum trägt allerdings die Kürze nicht wenig bei: denn so einprägsam
jedes der Motive, so klar ihre Verarbeitung, so ausdrucksvoll die Deklamation,
so faßlich die Melodik und so berückend der Klangzauber ist: durch drei lange
Akte wäre die Aufnahmefähigkeit der Hörer dem modernen Stil eben nicht
gewachsen. Dazu ist die Stimmung götterdämmerlich düster, und was der
geschickte Theatraliker Bulthaupt an hellen Kontrastwirkungen hineingelegt hat,
z. B. den Tagcsanbruch, das hat der Künstler dÄlbert wiever auf den Grund-
ton herabgedämpft. Die H-Tonarten wiegen vor: der Morgen, der da leuchtet,
ist nicht frisch und erquickend, sondern wetterträchtig und schwül. Diese Kraft
zu einheitlichem Kolorit im Verein mit einer — wenn wir sein vorletztes Werk,
die „Abreise" vergleichen — wayrhaft proteusartigen, den Stoffen gemäßen
Wandelbarkeit berechtigen dazu, dÄlbert als dramatischen Tondichter unter die
wenigen Berufenen zu zählen. Daß keine geschlossene Kligue Hosianna schreiender
Anbeter hinter ihm herläuft, ist geeignet, uns seine Erscheinung nur noch vor-
nehmer und sympathischer zu machen. R. B.
Ikulturarbetten. 3.
Man könnte vielleicht bei meiner Sammlung denken, ich hätte nur
das Groteskeste und Läppischste im ganzen Lande zusammengetragen,
um mit ihm als „Gegenbeispielen" einen Trumpf auszuspielen. Wer mit
offenen Augen in Deutschland und im Auslande umhergelaufen, weiß,
daß dcm nicht so ist. Unsre Abbildungen bleiben ganz im Rahmen des
Charakteristischen; die Gegenbeispiele sind sogar fast alle dem nächsten
Umkreis meines Hauses, nicht weiter als sO Minuten im Radius, ent-
nommen. Bei denen, die ich als Beispiele für gute und echte Kultur
bringe, habe ich durchweg jene kunstgeschichtlich katalogisierten Denkmäler
vermieden, die als Spitzen hoher Kunstentwicklung mit Recht allgemein
gekannt und verehrt werden. Von denen ist genug gesprochen worden.
Meine Absicht hier ist es, auf das Unscheinbare, gleichsam auf die All-
tagskost hinzuweisen, wie wir sie brauchen und wie sie einst da war.
Vielleicht trägt die Beröffentlichung ein wenig dazu bei, das unschätzbar
Gute in jenen schlichten Resten zu erkennen und etwas verständiger mit
ihm umzugehen, als es bisher geschah.
Wo es mir möglich, möchte ich unsern Lesern auf derselben Seite
immer das Alte und den Ersatz durch das Neue selbst vorführen. Wegen
äußerlicher Schwierigkeiten geht dies nicht immer an. Wohl aber lassen
sich immer ganz entsprechende Anlagen bringen.
Abb. 8 zeigt einen Garteneingang, den uns eines der letzten
Jahre beschert hat. Dies sinnlose papperne Gebäude ist ganz das, was
heut bei uns überall an den Straßen und Wegen blüht. Und darf man
den Zimmermeistern, die es entwerfen, die Häßlichkeit so hoch anrechnen?
I. Novemberheft 1900