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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,1.1900-1901

DOI issue:
Heft 10 (2. Februarheft 1901)
DOI article:
Gregori, Ferdinand: Schauspielsehnsucht
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https://doi.org/10.11588/diglit.7961#0463

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ZckLuspielerseknsuckt.

Der eiscrne Bestand der bildenden und ichreibenden Künste bleibt
für alle Zeiten cine unerschöpfliche Luelle, daraus die Kulturwelt ihre
höchsten Genüsse zieht, darin wie in einem Spiegel die Künstlcr selbst
das eigene Könncn und Werden zu beurteilen und zu verfalgen ver-
mögen. Und auch wenn ein solcher eiserner Bestand, der von den ältesten
Mcistcrn her ausgespart worden ist, nicht vorhanden wäre, so hätte der
bildende und schreibende oder der schlechthin produktive Künstler noch
immer in dcn Schöpfungen seiner Zeitgenossen einen kostbarcn, leicht er-
rcichbaren und dauernden Maßstab, der ihn vor Selbstüberschätzung
schützcn und auf ncue höhere Ziele hinweisen könnte.

Viel kümmerlicher ergcht es der Schauspielkunst, die sich wegcn
ihrer Flüchtigkeit nie und in keiner Wcise festlegen läßt. Was wir über
ihre Geschichte wissen, muß mit eben solcher Vorsicht ausgenommen wcr-
den, wic alle zeitgenössischen Urteile über entschwundene Werkc der Kunst.
Es ist nicht zu kontrolieren. Und wie weit die Meinungen über Natur
und Unnatur auf der Bühne auseinandergehen, das sehen wir täglich
allerwärts in den Zeitungen und bei Unterhaltungen. Der eine belobt die
reinste und schärfste Bcobachtungsgabe bei einem Schauspieler, den der
andcrc in jcdcr Bewcgung als gcziert tadelt. Tazu tritt noch ein wei-
tercr Grund, dcr cin objektivcs Urteil so gut wie ausschlicßt: die Grenze
zwischcn den Schöpfungen dcs Dichters und dcs Schauspiclers ist den
meistcn unauffindbar. Sie lassen deshalb den Dichter die Fehler dcs
Jntcrpreten, den Schauspielcr ost die seiner Unterlage cntgelten. Be-
sonders bei den starken Persönlichkciten unter den Schauspielern ist die
Klarlegung dcr Kunstgrenze erschwert. Sie helfen dem Verfasser oftmals
als rcin produktivc Mitschöpfer, welche die Gestalt verändern und ver-
tiefen, nicht aber als bloße Diencr des Werkes.

Will man sich trotzdem im allgemeinen über den gcgenwärtigcn
Stand und dic Ziele dcr Schauspielkunst aussprechen, ja, ein neues Ziel
oder doch cinen Fortschritt in Erwägung ziehen, so läßt man am besten
die stärksten Persönlichkeiten, die aus den Grenzen ihrcr 5kunst heraus
und in sremdc hincinragen, beiseite und beschränkt sich auf die übrigen
Berufcnen. Jch mcine damit alle, die sich nur als Untergebene des
Dichters fühlcn und Talcnt gcnug haben, diese Lehenspflicht restlos zu
crfüllen. Nur mit ihrer Hilse konnte dcr große Schritt vorwärts ge-
than werdcn, auf dcn wir heute gutcn Grund haben, stolz zu sein, konnte
das Zusammcnspicl im Sinnc des Bcrliner »Deutschcn Thcatcrs"
ermüglicht wcrdcn. Es crfordert eben die weiseste Bcschränkung der
Einzclgabcn zu gunstcn cincr höhcren Einheit und birgt damit eincn ge-
wissen Jdealismns, den bislang dic haarbuschigcn organseligcn Virtuosen
ohnc dcn Schcin eincs Rcchtcs für sich beanspruchten.

Hält man nun das Zusammcnspicl als unveräußcrliches Gut und
als stetes hüchstcs Ziel dieser Kunst scst, so muß man sagcn: die Zu-
kunft dcr Schauspielcrci ruht in den Händen dcr Spiellciter, dcr Re-
gisseurc. Nur sic vcrmögcn cinc Aufführung im Geiste des Dichters
naturalistisch odcr stilisiert zu stcmpcln, ihr dic Rundung und Einheit-
lichkcit zu geben, dic eincm Kunstwerkc gcbühren. Nicht darin zumeist
licgt die Schwicrigkeit oder wird sic künflig liegcn, ob dcr Darstcller

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