Literatur.
Nundscbau.
* Etwas von dcutscher Kritik
und deutschem Stil.
Seit Lessings Zeiten hat die deutsche
Kritik ziemlich oft ihren Charakter ge-
ündert. Bald war sie ernsthaft und
gründlich, bald leichtsertig und ober-
slächlich, bald frech und blendend. Bald
befaßten sich mit ihr gediegene Gelehrte
und feinfühlige Künstler, bald viel-
schreibende Pedanten, bald gewissen-
lose ünd geriebene Taschenspieler, denen
es nicht darauf ankam, aufrichtig zu
wägen und zu richten, sondern nur
darauf, ihr schadenfrohes, sensations-
lüsternes Publikum durch ihre Witz-
Kunststückchen zum Lachen zu bringen.
Heutzutage gibt es Vertreter aller
dieser Spezies, von der besten leider
nur wenige. Dagegen mutz festgestellt
werden, daß sich heute mehr als je
ein überaus häßlicher Stil und Ton
in der Kritik breitmacht.
Wcnn in einer Zeit des Kampses
zweier Kunstrichtungen die Kritik einen
leidenschaftlicheren Ton anschlägt und
in der Hitze des Gesechtes oft nicht
imstande ist, sich zu mäßigen, so ist
das begreiflich und vcrzeihlich. Jetzt
aber ist ein solcher erbitterter Kampf
vorübcr, der Sieg der „neuen Rich-
tung" ist entschieden. Trotzdem kann
sich eine ganze Anzahl der Kämpfer
nicht wieder an die ruhigere Sitte und
Sprache des Friedens gewöhnen. Sie
kommen uns vor wie entlassene Lands-
knechte, die das Fluchen und Rausen
nicht lassen können. Statt sachlicher
Objektivität und interessenfreier Ge-
rechtigkeit spürt man, selbst als Fern-
stehender, in den Kritiken immer noch
die Bitterkeit persönlicher Feindschaft,
das hämische Ränkespiel literarischer
Kliquen. Dem Jnhalt entsprechend
ist die Form, der Stil dieser schrift-
stellerischen Leistungen vielfach ab-
stotzend und lüdorlich. Die Form wie
den Jnhalt beherrschen dann geschmack- !
lose Uebertreibung und rohc Maßlosig- !
keit. Es wird nicht mehr gelobt, son-
dern gelobhudelt, nicht mehr getadelt,
sondern geschimpft. Manche Kritiker
scheinen sich erst als vollgültige Mit-
glieder der Gilde zu fühlen, wenn sie
ein neues, möglichst verblüfsendes
Schimpfwort erfunden haben. Außer-
dem hat gewöhnlich jeder einzelne noch
eine besondere Spezialität, irgend eine
pikante Zuthat, durch die er anziehend
wirken will. Der eine gefällt sich in
gesuchtcn Wortwitzeleien und aben-
teuerlichen Wortbildungen, der andre
sucht durch eine zur Schau getragene
Nachlässigkeit der Form, durch vulgäre,
sonst in der Schriftsprache nicht übliche
Worte und Wendungen den Eindruck
burschikoser Natürlichkeit zu erwecken
u. s. w. Daß bei solchen Versuchen von
der Eigenart zur Geschmacklosigkeit nur
ein Schritt ist, der oft gethan wird,
ist nicht zu verwundern.
Jedcm aufmcrksamen Leser moder-
ner Zeitschrislen werden oft genug
Beispiele der von mir erwähnten Aus-
wüchse der literarischen Kritik vorge-
kommen sein. Wenn ich trotzdem noch
einige Stilproben folgen lasse, so thu
ichs nichl, weil sie die auffallendsten
sind, die ich gelesen habe, sondern aus
einem andern Grunde. Jch möchte an
einem Beispiel zeigen, wie solche Kritik
durch die erwähnten Eigenschaften auch
ihren eigenen Aufgaben entgegen-
arbeitet, wie unzweckmäßig also
sie dadurch wird. Da haben wir die
im zweiten Jahrgange stehende lrsvue
kesnco-Lllcivancke, in der namhafte
französische und deutsche Schriftsteller,
jeder in seiner Sprache, für Franzosen
und Deutsche schreiben. Das Bestreben
dieserZeitschrift, die deutsch-sranzösische
Annäherung zu fördern, kann nur ge-
lobt werden. Autzerdem könnte man
annehmen, daß die Mitarbeit an einem
solchen Blatte auf die betreffenden
Schriftsteller in gewissem Sinne er-
zieherisch wirken müsse. Denn das
2. Dktoberheft tyoo
Nundscbau.
* Etwas von dcutscher Kritik
und deutschem Stil.
Seit Lessings Zeiten hat die deutsche
Kritik ziemlich oft ihren Charakter ge-
ündert. Bald war sie ernsthaft und
gründlich, bald leichtsertig und ober-
slächlich, bald frech und blendend. Bald
befaßten sich mit ihr gediegene Gelehrte
und feinfühlige Künstler, bald viel-
schreibende Pedanten, bald gewissen-
lose ünd geriebene Taschenspieler, denen
es nicht darauf ankam, aufrichtig zu
wägen und zu richten, sondern nur
darauf, ihr schadenfrohes, sensations-
lüsternes Publikum durch ihre Witz-
Kunststückchen zum Lachen zu bringen.
Heutzutage gibt es Vertreter aller
dieser Spezies, von der besten leider
nur wenige. Dagegen mutz festgestellt
werden, daß sich heute mehr als je
ein überaus häßlicher Stil und Ton
in der Kritik breitmacht.
Wcnn in einer Zeit des Kampses
zweier Kunstrichtungen die Kritik einen
leidenschaftlicheren Ton anschlägt und
in der Hitze des Gesechtes oft nicht
imstande ist, sich zu mäßigen, so ist
das begreiflich und vcrzeihlich. Jetzt
aber ist ein solcher erbitterter Kampf
vorübcr, der Sieg der „neuen Rich-
tung" ist entschieden. Trotzdem kann
sich eine ganze Anzahl der Kämpfer
nicht wieder an die ruhigere Sitte und
Sprache des Friedens gewöhnen. Sie
kommen uns vor wie entlassene Lands-
knechte, die das Fluchen und Rausen
nicht lassen können. Statt sachlicher
Objektivität und interessenfreier Ge-
rechtigkeit spürt man, selbst als Fern-
stehender, in den Kritiken immer noch
die Bitterkeit persönlicher Feindschaft,
das hämische Ränkespiel literarischer
Kliquen. Dem Jnhalt entsprechend
ist die Form, der Stil dieser schrift-
stellerischen Leistungen vielfach ab-
stotzend und lüdorlich. Die Form wie
den Jnhalt beherrschen dann geschmack- !
lose Uebertreibung und rohc Maßlosig- !
keit. Es wird nicht mehr gelobt, son-
dern gelobhudelt, nicht mehr getadelt,
sondern geschimpft. Manche Kritiker
scheinen sich erst als vollgültige Mit-
glieder der Gilde zu fühlen, wenn sie
ein neues, möglichst verblüfsendes
Schimpfwort erfunden haben. Außer-
dem hat gewöhnlich jeder einzelne noch
eine besondere Spezialität, irgend eine
pikante Zuthat, durch die er anziehend
wirken will. Der eine gefällt sich in
gesuchtcn Wortwitzeleien und aben-
teuerlichen Wortbildungen, der andre
sucht durch eine zur Schau getragene
Nachlässigkeit der Form, durch vulgäre,
sonst in der Schriftsprache nicht übliche
Worte und Wendungen den Eindruck
burschikoser Natürlichkeit zu erwecken
u. s. w. Daß bei solchen Versuchen von
der Eigenart zur Geschmacklosigkeit nur
ein Schritt ist, der oft gethan wird,
ist nicht zu verwundern.
Jedcm aufmcrksamen Leser moder-
ner Zeitschrislen werden oft genug
Beispiele der von mir erwähnten Aus-
wüchse der literarischen Kritik vorge-
kommen sein. Wenn ich trotzdem noch
einige Stilproben folgen lasse, so thu
ichs nichl, weil sie die auffallendsten
sind, die ich gelesen habe, sondern aus
einem andern Grunde. Jch möchte an
einem Beispiel zeigen, wie solche Kritik
durch die erwähnten Eigenschaften auch
ihren eigenen Aufgaben entgegen-
arbeitet, wie unzweckmäßig also
sie dadurch wird. Da haben wir die
im zweiten Jahrgange stehende lrsvue
kesnco-Lllcivancke, in der namhafte
französische und deutsche Schriftsteller,
jeder in seiner Sprache, für Franzosen
und Deutsche schreiben. Das Bestreben
dieserZeitschrift, die deutsch-sranzösische
Annäherung zu fördern, kann nur ge-
lobt werden. Autzerdem könnte man
annehmen, daß die Mitarbeit an einem
solchen Blatte auf die betreffenden
Schriftsteller in gewissem Sinne er-
zieherisch wirken müsse. Denn das
2. Dktoberheft tyoo