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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,1.1900-1901

DOI issue:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1900)
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Avenarius, Ferdinand: Literarischer Ratgeber des Kunstwarts für 1901, [5]: Naturwissenschaften
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https://doi.org/10.11588/diglit.7961#0248

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I^Lturnnflen sckaften.

Dieses Jahr nur weniges, wiederholeno und ergänzend, nächsies Jahr mehr.

Ein altes unverwüstliches Buch ist Humboldts „Kosmos". Obwohl viel
später geschrieben, stammt es in jedcr Zeile aus Goethcs ästhetischer Epoche. Man
lese sich in den umsiändlichen Stil ein, wie in den von „Wahrheit und Dichtung".
Die ersten beiden Bände sind mit geringen Ausnahmen noch heute gediegencs Gold,
und wer solches Gcistesgold einmal in sich hat, kann sich auch hier „gebildet" nennen, im
Sinne eines Ansangsbegriffs, und weiter gehen. Die „Ansichten der Natur" sind
anregend im höchsten Grade, aber ohne das Umfaffende jener gewaltigen Vorschule.
Wer jetzt wirklich weiter will, lese Häckels „Schöpfungsgeschichte". Da ist er mitten
im Durcheinander-Belricb schon von Philosophie und Naturforschung. Aber zugleich
kommt ein Hauch modernen unbedingt echten Forischrilldranges auch im reinen Forschen
über ihn, den Humboldt so noch nicht hat. Lhnehin bleibt er auch hier im Schalten
Goethes. Will er sich jetzt naturphilosophisch bis ins Schwere, Kritische fortarbeiten,
so nimmt er Friedrich Albert Langes „Geschichte des Materialismus" zur Hand.
Popularisiert sind die eigentlich fruchtbaren Jdeen Darwins am volkstümlich-eindring-
lichsten in Carus Stcrnes „Werden und Vergehen", das jetzt in einer neuen, be-
sonders in den Bildern sehr erweiterten Auflage vorliegt. Sterne ist kein grober
Kompilator und Bloß-Popularisator, sondern eincr unserer edelsten und wissensretchsten
Naturkenner im Fach, wie zum Nutzen gewisser Blasiertheit abstchtlich vermerkt sei.
Das Buch ist zugleich ein sehr klares Volksbuch über Erdgeschichte (Geologie und
Paläontologie), die eine Grund- und Säulen-Wiffenschaft des Gebildelen seiu sollte.
Ein Universalbuch, das uncndliche Stoffmassen in mustergültiger Fo>m überliefert, ist
„Unser Wisscn von dcr Erde", herausgegeben von Kirchhoff (grotze Ausgabe!). Der
erste, allgemeine Teil ist einzeln käuflich als „Allgemeine Erdkunde" und genügt,
die weiteren Bände gehen in die spezielle Geographie. Der Band ist auch vorzüglich
illustriert. Jm Kunstwart schon früher wiederbolt warm empsohlen wurde BölscheS
zweibändige „Entwicklungsgeschichte der Natur", der unorganischen sowohl wie
der organischen. Von desselben Verfassers „Liebesleben in der Natur" ist ein
zweiter Teil erschiencn, der (wie dcr erste) auch für sich gelesen werden kann. Ein
geologisches Kompendium ist Neumayrs „Erdgeschichte". Das ist aber jetzt schon
eins von den dickleibigen Werken des Bibliogr. Jnstituts, die sich an den Brehm an-
schließen. Diese Bücher, Neumayr, Ratzel, Kerner, Ranke, neuerdirgs auch eine Astro-
nomie von M. Wilhelm Meyer, sind die bestillustrierten naturwissenschastlichen Hand-
bücher der Gegenwart. Sie wnken schon viel durch diese Bilder. Ter Text aber
fordert ernstes Stndium, gerade weil cr gut im sachwiffcnschaftlichen Sinne ist. Für
das Volk freilich, wie es ist, muß das alles erst noch einmal Lbersctzt werden, wie aus
einer fremden Sprache. Das war bei Brehm selbcr nicht so. Sein einziges Hemm-
nis ist dcr Umfang, der wiedcr mit dem Preis im graden Verhältnis steht. Schr
schade ist, daß es ein entsprcchendcs Pflanzenbuch nicht giebt. Jenes „Pflanzenleben"
des trefflichen alten Wieners Kerner ist nur eine Art Einleitung in die Pflanzen-
physiologie. Auch an Tierbüchern ist in ncuerer Zeit übrigens wenig hinzugekommen.
Ausgezeichnet sind die Säugetiere vom Dirrktor des Berliner Zoologischen Gartens,
Heck, in einem bei Neumann in Neudamm erschienemn zweibändigcn und sehr billigen
„Tierreich". Ein ganz verschollenes Buch muß ich ausdrücklich erwähnen: Guslav
Jägers „Leben im Wasser", noch jetzt eine wahre Perle vergeistigter Zoologie, mit
der ganzen Schwabenfrische Jägers herunter erzählt. Schade, daß Vogts Bücher
jetzt durchweg veraltet sind, so zu schreiben, wie er, hat keiner mehr gelernl! Sonst
seien noch empsohlen sür Zoologie: Vogt und Spechts „Säugetiere", im Buchhandel
nicht gegangcn, deshalb vcrramscht und anliquarisch billig zu haben, aber in Text und
Bildern durchaus nicht veraltet. Als ein mit vollcm Recht beliebtes Buch der natur-
wissenschaftlichcn Heimatkunde sei Tschudis „Tierlebcn der Alpenwelt" genannt.
Ferner das solide Hausbuch: „Die Tiere der Heimat" von Kast und Adols Müller
und als crste Einführung noch immer: Lenz' „Gcmeinnützige Naturgeschichte",
sowie den untcr den Jugendbüchern erwähnten Kraepelin. Das bcste Nachschlagewerk
sür jeden, der knappe praktische Angabe sucht, ist Lcunis „Synopsts der Naturreiche",
doch nur in der neuestcn Auslage. Ein Feld, von dem man viel zu wenig erntet,
ist das der Embryologie, also Geschichte unsres eigenen Werdens im Multerleibc. Das
beste Buch ist da nach wie vor Häckels „Anthropogcnie". Man fürchte nicht die
philosophische Aufsärbung. Ohne die sind die Sachen dem Laien teils widerlich, teils
albern, so lcrnt cr wenigstens, daß auch diese Dinge eine Art „heiliger Wahrheit"

z. Dezembcrheft zzoo
 
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