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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,1.1900-1901

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1900)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7961#0318

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Runctsckau

Literatur.

* Ani >5. November ist Adolf
Pichlcr, rcichlich Jahre alt, zu
Jnnsbruck gcstorbcn. Der Kunstwart
hat zu seinem achtzigstcn Gcburtstage
einc Würdignng dcs Dichters und auch
Probcn aus scincn Wcrkcn gebracht.
Pichlcr war Tiroler, ivar Hcimatdichter
im höchsten und bestcn Sinne: scine
Lgrik, seinc cpischcn Dichtungcn, vor
allem seine vortrcfflichcn Erzählungen
s^Allcrlei Gcschichtcn aus Tirol',
„Jochrautcn",»Lctzlc Alpcnroscn''), allcs
stand, wenn cs nicht gcradczu dcm
Hcimatbodcn cntivuchs, irgcudivic in
Bczichung zu dcm Lande Tirol, und
als Charaktcr war Pichler cin Ver-
trctcr scincs Volksstammcs, wic cr
nicht cchtcr, trcucr, vvllkommcncr zu
dcnkcn ist. Dabci war cr kcincswcgs
cng, kcincswegs Partikularist: Zucrst
kam ihm zwar dic Hcimat, dann aber
ivar cr auch Dcutschcr, cntschicdcncr
Nationaler, und zulctzt kümpfte cr
ivackcr dic grohcn Kämpsc dcr Mcnsch-
hcit mit, so vicl an ihm lag. Dcr
vslerrcichischc Burcaukralismus und
der römischc 5tlerikalismus habcn nicht
vicl Frcudc an ihm erlebt. Ganz das-
sclbc knun man rcin literarisch an ihm
bcobachtcn: cr schrcibt mit groszcr
Liebc auch übcr den klcinstcn Poctcn
unter scincn Landslcutcn, abcr das
ivichtigste Vcrhältnis zu cincm Dichtcr
in seiiicm Lcbcn ist das zu Hcbbcl, und
seine gröfftc Vcrchrung gchört zulctzt
doch dcn Altcn und Goelhc, zu dcnen cs
ja jcdc gcsundc diatur noch hcutc zicht
und wahrschcinlich cwig zichcn wird.
Sehr „nwdcrn' war Pichlcr also nicht,
dic hcntigc Wicncr Litcratur nannlc
cr schlcchtweg eincn ,Sumpf". Aber
daS Groffc in dcr Gcgcnwart vcrkanntc
er doch auch nicht, sv bcispiclswcisc
nichl die gcwaltigc Anlagc bei Nictzschc.
Er wird als dcr Tirolcr Dichtcr und
Mann in uuscrcr Literatur scinc
daucrndc Stcllnng bchaltcn. A. B.

Lbcatcr.

'Berliner Theater.

Scit dcm letzten Bericht haben wir
zwci Ercigniffc erlcbt, deren künstlerische
Gewalt kaum übcrboten werdcn kann.
Die „Frcie Dolksbühne^ führtc den
zweiten Tcil von B j ö rnso ns „Uebcr
unscre Krast" auf und dcr ^Akadcmische
Verein für Kunst und Litcralur^ brachte
uns die »Lrcstie* von Aischylos.
»Uebcr unscrc Krast" wurdc zucrst in
Stuttgarr aufgesührt, und so muh
natürlich auch von Stuttgart aus
darüber bcrichtct wcrden. Jch vcrzichte
mit aufrichtiger Freude zu Gunsten
mcincs süddculschcn 5tollcgen — nur
in Bcrlin kann man ganz ermcssen,
wie wohlthucnd und segensreich cs ist,
wcnn einmal cine vornchme Bühnc im
Rcich dic Jnitiative ergrcift. Die
»Lrestic' wurdc in der frischen Ucbcr-
setzung von Wilamowitz gegcben. Jch
will glcich bckcnncn, daff dic Dichtung
sür mich das crschüttcrndstc künstlcrische
^ Erlcbnis bedeutet, das mir je zu tcil
gewordcn ist. Ich habc durch Shakcspcre
und Hcbbel große Stunden crlcbt und
wciß mich aufrichtig dankbar. Aber
gcgcnüber dem crstcn Draina dicscr
Trilogie verblasscn sclbst dic weihe-
vollstcn Erinnerungen und erschcincn
matt und farblos. Erst wcnn man
dcr Gewalt dcs groffcn Aischylos cnt-
ronncn ist und reflckticrcn kann, be-
hauptet sich das Bcste in den bcsten
Dichmngcn dcr Bcstcn. Allcs andere
ocrsinkt rettungSlos.

Jn der Klytaimnestra, dic dcn heim-
kchrcndcn Agamcmnon mit dcm Bcil
crschlägt und dann mit ihrcm Galan
cinc srcchc Tyrannenhcrrschaft bcginnt,
ist cin Wcib geschasfcn, desscn prunkcn-
dcs Lasler zu schauerlichcr Grösie
cmporwächst. Hier ist das Vcrbrechcn
wirklich so hoch gcstiegcn, dasi cs
grandios und königlich wirkt, obwohl
dic Szcne vom Blut dcr Ermordetcn
dampft. Man wird miluntcr an scinem
Bcruf irrc und fragt sich, ob daS
2. Dezcmberbcst ryvo

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