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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,1.1900-1901

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1900)
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Avenarius, Ferdinand: Literarischer Ratgeber des Kunstwarts für 1901, [8]: Philosophie
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https://doi.org/10.11588/diglit.7961#0261

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Pkttolopkie.

Wio ivir schon das vorige Mal betonten, stcllen sich bei dcr Empfehlung
von" philosophischen Büchcrn für gebildete Nicht-Fachleute zwei besondere
Schwierigkeitcn heraus. Erstens sind die philosophischen Lehrmeinungen so gar
verschieden und einander widcrsprcchend. Will man von cinem bestimmten
Standpunkte aus konsequent sein Urteil abgeben, so mutz man notgedrungen
sehr einseitig bleiben und wird die Bedürfnisse cincs grötzeren Lcscrkreises kaum
befriedigen. Will man aber allen Standpunkten glcichmätzig gerccht werden,
wird män dem Vorwurfe völliger Prinzipienlosigkcit und eines seichtcn
Eklektizismus mit Recht verfallen. Sodann ist es auch schwerer als in
anderen Gebieten, die eigentlichen Fachschriftcn von jcnon Werken zu sondcrn,
die auch dem gebildeten Laien zugänglich sind. Dicses Publikum stcllt hin-
sichtlich der leichten Lesbarkeit eines Buches jetzt auch in Deutschland audcre
Ansprüche als früher; und die Zeiten, da die akademisch Gebildcten aller
Fakultäten so schwierige Werke wio Kants „Kritik der reinen Vcrnunft" und
Hegels „Logik" in Menge lascn, sind wohl für immer vorübcr. An die „Klassiker"
der Philosophie, an Plato und Aristoteles, an Descartes und Spinoza,
Leibniz, Kant, Schelling und Hegel zu erinnern, chat daher nicht viel Zweck;
dem Namen nach kennt sie jeder, wer sie aber ernstlich zu studicren befähigt
und gewillt ist, bedarf nicht dieser orientierenden Liste. Ohne besondere Vor-
kenntnisse zu lesen sind und eine gute Einführung in die philiosophische
Gedankenwelt geben einige ältere französische und englische Werke, z. B. die
weltberühmten Untersuchungen von Locke (Versuch über den menschlichen
Verstand), Hu m e (Eine Untersuchung in Betreff des menschlichen Verstandes),
Berkely (Abhandlungen über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis)
und Descartes (Meditationen), die man der von Kirchmann herauSgegebencn
„Philos. Bibliothek" entnehmen kann. Ebenso von den Alten die Dialoge
Platos und die Poetik dcs Aristoteles, von denen man Uebersetzungen
in Philipp Reclams Universalbibliothek findet. Noch leichter zugänglich sind
die Aphorismen und Essays geistreicher empirischer Psychologen und Dtoralisten
wie die eines Lichtenberg, Larochefoucauld, Labruyere, Chamfort,
Helvetius, Montaigne, Shaftesburg u. s. w., Wcrke, die man dem heutigcn
Sprachgebrauch zu Folge, kaum mehr als eigentliche „philosophische" bezeichnet;
womit natürlich nicht gemeint ist, dah sie darum weniger „bedeutend" wären.
Die Maximen und Reflexionen de Larochefoucaulds bilden ein Bändchcn von
Reclams Universalbibliothek. Von Montaigne sind neuerdings zwei Sammlungen
ausgewählter Essays erschienen; die eine hat Dyrenfurth (ctwas „in uLum
Oelpbini") bearbeitet, die andere Kühn ausgewühlt und übersctzt.

Fragt man sich, wclche Philosophcn dcr Ncuzeit autzerhalb der Fach-
kreise beachtet und wohl auch wirklich viel gelesen worden sind, so sind zu
nennen: Schopenhauer, Ed. v. Hartmann, Dühring, Nietzsche, Herbert Spencer,
auch Lotze, Fechner und Friedrich Albert Lange — cine bunte Reihe sehr
ungleichartiger Denker.

Schopenhauer ist ein überaus glänzender Schriftsteller. Seine
Willens-Metaphysik und sein Pessimismus wird heute kaum viel Anhängcr
mehr finden, aber die Persönlichkeit ist, wie Nietzsche sagt, „gar nicht zu wider-
legen". Die glänzenden Essays im zweiten Bande der „Welt als Wille und
Vorstellung" und in den „Parergis" werden immer auch denjenigcn Lcsern
einen hohen Genutz bieten, die vor abstrakten philosophischen Werken eine Ab-
neigung haben. Von den Ausgaben seiner Werke ist die Reclamsche in Hinsicht
auf den Text die beste und überdies die billigste.

Eduard v. Hartmann ist fraglos viel überschätzt worden. Seine
sehr berühmte und oft aufgelegte „Philosophie des Unbewuhten" enthält
neben gewih zahlreichen geistreichcn Einzclheitcn eine wüste und abcnteuerliche
Metaphysik, vor welcher der Schrciber dieser Zeilen einen grotzen persönlichcn
Widerwillen zu haben bekennt. Andcre Werke von Hartmann sind aber gewih
verdienstlich, belehrend, anregend und vor allem gut lesbar, so die „Aesthetik",
„das sittliche Bewutztsein" und eine Reihe historischer und populärwissenschaft-
licher Schriften. („Schellings Philosophisches System", „Kants Erkenntnis-
theorie und Metaphysik", „Kritische Wandcrungen durch die Philosophie der

Aunstwart
 
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