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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,1.1900-1901

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Heft 12 (2. Märzheft 1901)
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Batka, Richard: Die Musikalische "Moderne", [2]: die dramatische Tonkunst
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Kunowski, Lothar von: Der Genius, seine Auferstehung und Führerrolle im Leben
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https://doi.org/10.11588/diglit.7961#0553

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Ja, es ändert sich mit den Stoffen geradezu die ganze Syntax der
Musik, weil verschicdene Stoffe die Phantasie des Schaffenden nach
verschiedenen Richtungen und in verschiedener Weise in Bewegung setzen.
Darum waren die Weingartner und Kienzl von einem richtigen Gefühl
beseelt, als sie in der Frühzeit des Wagnerianismus nach dem alten
Jndien flüchteten, um auf diese Weise dem Bannkreis ihres Meisters zu
entgehen. Das war nun freilich ein bischen zu weit. Und ebenso
hofften die Anfänger der Wirklichkeitsoper auf neue Jdeen geführt zu
werden, wenn sie zu dem musikalisch bisher noch unberührten Pöbel
herabstiegen. Das war allerdings etwas zu tief. Jch für meinen Teil
glaube, es wird bald einmal Einer kommen, der seine Stoffe im Volks-
leben sucht und sindet, aber nicht wie die Veristen dort, wo dieses Leben
versumpft und verrottet ist, sondern, wo auch seine goldenen Quellen
fliesien und die Schätzc seines gesunden Fühlens schlummern. Jn Paris
hat Charpentiers „Luise", eine Oper aus dem Milieu der Arbeiter-
bevölkerung, Aufsehen erregt. Wir fühlen, es ist noch nicht das Nichtige,
aber es nähert sich dem Richtigen. Ebenso tastet der Norweger Schjclderup
in seinen dem nordischcn Bauernleben entlehnten Opern nach künst-
lerischem Neuland. Leise, leise hebt sich im Westen und Norden der
Schleier, der das ncue Jdeal unsern Blicken verbirgt, aber nur der
Sturmesodcm cines Genics wird ihn ganz zu lüftcn vermügen.

Nach diesen grundsätzlichen Vorerwägungen können wir beherzt
an eine Kritik des bczüglichcn Scidlschen Kapitels schreiten.

Richard Latka.

ven Genius, seine )Iufers1ekungskraft unci ^ükrerrolle

irn Leben.

Jn jeder Arbeit eines Künstlers sollte nicht nur das momentane
Aufflackcrn seines Genies und seiner Energie gegeben sein, viclmehr sollt'
er in ihr sein gesamtes bisher erreichtes Können bethätigen und es unter
einem neuen Gesichtspunkt zu Tage treren lassen. Von Arbeit zu Arbeit
soll sich dieses Könncn steigern und vermehren, zugleich abcr seine Herr-
schaft darüber zunehmen, sodaß er mit immer größerer Leichtigkeit aus
dem Schatze seines Wissens herausschafst. Schließlich wird er sich da-
hin bcschränken können, nur ein einziges Motio der Natur zu cntnehmen
und es mit Hilse dessen, was er schon von der Natur weiß, ausgestalten
und vertiefen, wie dcm alten Corot ein Spaziergang durch die Natur
und eine Notiz in sein Skizzenbuch genügten, um daheim ein Werk voll
Poesie und Naturwahrheit zu schaffen. Das einfachste Problem wird
ihm das liebste sein. Er wird immcr vorsichtiger werden in der Wahl
des Motivs, indem er von Tag zu Tag wachsen wird in dcr Erkennt-
nis dcssen, wozu er sein bisheriges Streben bestimmt. Er ivird kein
Problem wählen, das ihn nötigt, alles, was er bis dahin gelernt hat,
zu vergessen, und sich nicht leichtsinnig in neuen Gebieten festsetzen. Seine
grvßte Sorge wird scin, in seinem gesamten Schaffen einen Zusammen-
hang herzustellcn, die einzelnen Werke Früchle sein zu lassen am Baumc
seiner mühsam crworbenen Kenntnis und Erkenntnis. Er wird beginnen,
immer sorgfültiger zu wählen unter dem Reizvollen, das ihm die Natur
täglich bietet, er wird verzichten lernen auf das, was seiner Entwicklungs-

2. Märzheft ,YOt

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