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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,1.1900-1901

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Heft 12 (2. Märzheft 1901)
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Batka, Richard: Die Musikalische "Moderne", [2]: die dramatische Tonkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7961#0552

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welde", Richard Straußens „Guntram", Pfitzners „Armer Heinrich",
wozu dann später noch Eugen d'Alberts „Kain" sich gesellte.
Schillings „Jngwelde" wird von Seidl als Nachklang der
Wagnerepoche ausgesaßt, und darin gebe ich ihm Recht. Aller-
dings wird Schillings von manchen mit Begeisterung als Mann der
Zukunft gefeiert, und auch der Kunstwart hat solche Stimmen zu
Worte kommen lassen, ohne eine andere Meinung zu verhehlen. Denn
ich für meinen Teil vermag da nur bedingt mit einzufallen; Schillings
fehlt, glaube ich, um mit Wagner zu sprechen: die das Gefühl sicher be-
stimmende Melodie. Wenn einer ein Tondrama gleich mit einer Ver-
bindung von drei Themen anfängt, so ist das weder wagnerisch, noch
modern, sondern einfach eine tadelnswerte Verirrung ins Formlosc. Und
was für Themen! Themen, denen jede Plastik, jeder Charakter fehlt,
die der Phantasie das, was sie ausdrücken wollen, zu suggerieren durch-
aus nicht imstande sind. Mit solchen Tonkonglomeraten ist dann leicht
zu kontrapungieren. Wo aber Schillings sich gezwungen sieht, ein Gc-
fühl zu einer faßlichen Tongestalt aufblühen zu lassen, da muß er aus
älteren Melodienbornen schöpfen. Sein Jngweldenmotio steht in der
Walküre (Akt 3, „O hehrstes Wunder"), die Hornmelodie Brans weist
auf die analoge Stelle in Webers Oberonouvertüre und auf „Der Sänger
kluge Weisen" im Tannhäuser zurück. Jn der Harmonik hat Schillings
allerdings Neues gebracht, aber leider ist dies für einen Dramatiker sehr
Nebensache. Zum Glück bringt er für seinen Beruf noch tauglichere
Eigenschaftcn mit. Die Gabe der Exposition ist ihm, mie ich oben
bemerkte, versagt, aber die Kunst der Steigerung besitzt er, und über-
haupt dramatischen Jnstinkt. Daran mangelt es hinwieder Hans
Pfitzner, dessen „Armen Heinrich" ich sonst sehr hochschätze. Seine
am Tristan entzündete Phantasie gibt doch eigenes Licht. Wenn die
Berliner Aufführungsberichte mit schöner Einstimmigkeit feststellen: es
seien zu wenig melodische Einfälle in dem Werk, so ist das zwar buch-
stäblich richtig, der Tadel aber bedeutet doch eine ungerechte Parteiisch-
keit, wenn man nicht hinzufügt: die vorhandenen Einfälle sind dafür
von seltcner und individueller Pracht und würden grenzenlosen Jubel
erwecken, wenn sie etwa in einer Partitur von Nichard Strauß stünden.
Von d'Alberts „Kain" ist kürzlich hier gesprochen worden; Scidl
wittert darin laue Kompromißluft, während ich die llebersichtlichkeit der
Anlage eher darauf zurückführen möchte, daß dem Komponisten die Gunst
der Musen auch die unwillkürliche Form im Geiste zugeteilt hat. Uebcr
den Straußischen „Guntram" wird noch zu sprechen sein: ich will jedoch
hier gleich der Ueberzeugung Ausdruck gebcn, daß die nächstcn Siege
unserer Tonkunst nicht auf dem Felde des großen Musikdramas werden
gewonnen werden. Da hat Wagner nur eiue kurze Nachlese übrig
gelassen, und es ist kein Wunder, wcnn die mit ühnlicheu mythisehen
oder sagenhaften Stoffen sich abmühenden Tondichter nichts wescntlich
Neues in Tönen zu sagcn vermögen. Jede Umwandlung der Phpsio-
gnomie unserer Tonkunst wurde in der Regel durch einen Wechsel in
ihren dichterischen Stoffen bewirkt. Gluck hatte seine griechischen Gütter
und Heroen, Mozart seine flotten romanischcn Kavaliere, Weber seine
Feen und deutschen Waldleute, Meyerbecr seine historischen Gestalten,
Wagner seine germanischen Sagenhelden, der Verismo seine Proletarier.

Annüwart

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