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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,1.1900-1901

DOI issue:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1900)
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Avenarius, Ferdinand: Literarischer Ratgeber des Kunstwarts für 1901, [10]: Jugendschriften
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https://doi.org/10.11588/diglit.7961#0272

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Iugenälcki'iften.

Mit dem Wort „literarisch" darf man's bei Jugendschrifien leider noch immer
nicht streng nehmen, wenn man sich nichl auf ganz wenige Bücher besckiränken will.
Ohne Vergleich den meisten Büchern, die eigens für Kinder gesckrieben sind, sieht man die
Absicht und damit die Mache an, ihnen fehlen die roten Backen des echten Lebens.
Nur was wirklich ein Dichter geschiieben hat, zeigt sie ja: Storms „Pole Poppenspäler"
thui's, Roseggcrs Jugendschilderungen ihun's, die besten Schriften der Spyri, des
Jtalieners Edwondo de Amicis seines Buch „Herz". Wer seinem Kinde mit einem
Buche nicht blosi den lärmenden Mund oder die ungebäidigen Glieder stillen will und
wer's verschmäht, ihre Phantasie auch um den Preis der Berrohung und Berwildernng
zu beschäftigen, wer ihnen mit dcm Lesen cine Quelle der Kiast und Lebenssieude cr-
schließen will, der wird über jene Werke hinaus sehr voisichtig wählen müssen. Er
schane sich um in der Lileratur der echten Künstler, d. h. der Männer, die wahr
empfuiidenes Leben wahr gestaltcten. Und andererseils: er schaue sich um in der
Lueralur der echten Gelehrten, d. h. der Männer, die wirklich der Sache wegen
schriebeu. Wo der eine und der andere pädagogisch begabt war, leicht und klar dar-
zustellen wußte und wo sein Stoff ihn nicht über die Lebensgebiete der Jugend hinaus-
wies, da ist brauchbare Jugendliteratur — künsllerische oder belchiende.

Wer nach solchen Grundsätzen auswählt, kann freilich keinen bogenstarken Katalog
bieteu. Aber eine der traurigsten Ursachen der Veiflachung, die nickt selten schou in
der Jugend ihren Ursprung hat, isl ja eben die Vielleserei. Sollie sie nicht auch
am sichersten aufgehobcn weiden, wo Eltern und Kind sick an demselben Kunst-
werk erfreuen kviinen? Wer cinmal mit einem jungen Freunde vor eine Landschaft
getreten ist, deren Zauber er schon als liebe Eiinnerung mil sich trug, wird zusiimmen.
Gemeinsames Erlebnis bedeutet hier Vertiesung für beide Teile. So ist denn
der geringe Umsang der folgenden Auswahl nichl unbeabsichtigt.

Wenn >n Deutschland überhaupl die mcisten Bücher zu Weihnachten gekauft
werdcn, so gilt das von den Jugendschrificn sast ausschließlich und da wieder vor
allem von den Bilderbüchern. Die Klciiien zu erfrcuen ist ja für uns Erwacksene
dcs Weihnachtsfestcs schönsie Gabe. Ja, wenn da die Ausbeute an echien Kunsiwerken,
die in Farbc, Zcichuung uud künsilerischem Wollen eine einigermaßen ernste Krilik
bestchen könncn, nur etwas größer wäre! Ueber allen Zweifel erbabcn sind eigentlich
nur die „Alten": Ludwig Richter, der sür Familien- und Kinderstube Einzige mit
seinem »Vaer äe Oaern-, „Aus dcni Kinderleben", scinen Jllusiratwnen zu Gnmms
und Bechsteins Märchen, zu Rcinicks „Märchen-, Lieder- und Gesckichienbuch", zu Scherers
„Deulschem Kinderbuch" u. v. a. Der Künsiler soll dem dcuiicken Volke noch wicder-
geboreu wcrden, der seinem Gemüie so nahe steht! Ludwig Ricktcr veraltet nic, trotz
aller wechselnden Technik oder äußeren Erscheinung des Lebens; er ist uns noch ganz, was
er war. Der zweile bedeulendc Meister des Kmderbuchs ist Ollo Spcckler; seine
Bilder zu deu Heyschen „Fabeln" sind ja auch überall verbreitet, sein „Katzenbuch"
hat Falke mit liebenswürdigen Versen herausgegeben, sein am fcinsteu und liebens-
würdigsten durchgesührtes Kinderbuch „Der gestiefelle Kater" wird jetzl in einer billigen
Ausgabe durch den Kunsiwari-Verlag der Allgemcinheit w edergcgeben. Oskar
Pletsch, der dritte bekannte jener alten Herren, reickt an Bedruiung weder an
Speclter noch gar an Richler heran, seine Phantasie- und damit Lebenssülle ist un-
glcich geringcr, scine Ausfassung ungleich obeifläcklicher— aber dcr Mangel an guter
Kost isr auf diesem Gebicte doch zu groß, als daß wir die immeihin gesunde Pleischs
schon enibehren könnten Schadc, daß die Geschästsspekulaiion des neuen Verlegers
hier allcrlei Buniheit pliimp hinzugcthan hat — auf solche Weise dient mau dcm
Verlaugen nach Farbe schlecht. Die Bcrechligung dieses Vcrlangens an sich besireiten
wir freilich duichaus nicht, der friscke Kindcisinn brauckt die Farben viel mehr, als
mau ehedem ancrlannle. Durch gute Farbigkeit von Kinderbüchcrn könnte zud-m sür
die Erziehung des Auges viel gcschehen: wer schon in der Jugend die Farben sreudig
uud fein zu seheu lcint, dem wiid daniit eine Ouelle an Gcnutz crvssnet, die ihm sonsl
vsl sem Lcbcnlang trocken blcibt. Leider sind die Bücker, die kunslversländige Sammler,
wie Brinkniann in Hamburg und Jesscn in Bcrlin, in ihre Muscuinsbibiiolhekeu ous-
gcnoinmen haben, auf dicscm Gebicic bald heruizähleri. Wir bcsckränkcn uns hier
vorläufig auf folgende Angaben: Tdumann, „Für illiultcr und Kind", W Busck,
„Hans Huckcbein", P. Mcyerheini, „Abc-Buch", st Gehris, „Tas goldene Märckcnbuck",
F. Flinzer, „Tierschule" uud manche andere, Röchling und Knötel, „Dcr alte Fritz".

Eine Fundgrube sür dcs Kindcs suchende Phantasie und des Maleis Pinsel

t. Dezemberhcft tyoo
 
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