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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,1.1900-1901

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1900)
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Weber, Leopold: Gabriele D'Annunzio und sein "Feuer": auch eine Weihnachtsbetrachtung zur deutschen Kunst
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Grunsky, Karl: Anton Bruckner als Kirchenkomponist
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https://doi.org/10.11588/diglit.7961#0291

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vergegenwärtigcn, bedcnke man, das er nicht etwa von ungefähr mit diesem Blech
daherklappert, sondern daß in dieser seiner Jdee die höchste Höhe seines Zukunfts-
dramas, mit dem er die Menschheit erlösen will, gipfelt!

Wahrlich, es ist ein sonderbares Schauspiel, wie unsre „maßgebenden"
Leute, und nicht etwa bloß Jünglinge, denen die Pubertät zu Kopf gestiegcn,
hinter dem wälschen Jrrlicht her über die Sümpfe voltigieren. Jst denn die
dichterische Begabung D'Annunzios wirklich s o glänzend, sind denn der immer
wieder gepriesene Wohllaut seiner Sprache, der Schwung seines üppigen
Temperaments, seine Phantasiekraft und seine Sensitivität wirklich so sehr die
Hauptsachen, daß sie über die innere Fäulnis seines Wesens, seine seelische
Hohlheit und geistige Flachheit hinwcgtäuschen können? Wir vom Kunstwart
können das nicht finden. Wir erklären im Gegensah zu den Bewunderungs-
ergüssen, die bis in die Spalten deutschnationaler Zeitungen hineinfließcn, daß
unsrer Ueberzeugung nach die Kritik hier wieder einmal mit ihrer Anstaunung
dessen, was weit her ist, fürchterlich hereinfällt. Wir haben den D'Annunzio-
rummel in seinen Anfängen nicht mitgemacht und möchtcn jetzt, wo er hoch-
gewachsen ist, die ernsteren unter unsern Berufsgenossen bitten, ihm endlich ein-
mal mit ein wenig mehr Prüfung entgegenzutretcn. Lcopold lveber.

Anlon kruckner als Rirckenkoniponisl.

Will eine Kunst an die höchsten Probleme der Menschheit herankommen,
so schließt sie sich fast immer treu den allgemeinen rcligiösen Vorstellungen
an. Jn früheren Jahrhunderten fällt das wcniger auf, da Malerei und
Musik durch zwingendc Verhältnisse an Kirche und Religion gebunden
waren. Daß aber auch das neunzehnte Jahrhundert an religiöser Musik
schöpferisch reich wurde, wie sollte das nicht zum Nachdenken reizen, wenn
man die Lockerung und Auflösung aller Glaubensketten bedenkt? Das Rätscl
wird kaum leichter, wcnn wir einen Mann von solcher Kindlichkeit wie
Bruckner sehen, der uns außer seinen neun Symphonieen vicr große und viele
kleine religiöse Tonwerke hinterlassen hat. Denn wäre uns auch scin
Seelenleben verstündlich, so bleibt doch die unmittelbare Wirkung aufzuhellcn,
die von seiner kirchlichen Musik allerorten ausgeht und Gläubige und Ungläubige
trifft. Nehmen wir das in der Notenbeilage dieses Heftes wiedergegcbeno
Benedictus aus der V-moll-Messe: klingt es nicht wie ein rcchter Weihnachts-
gesang, mit süßem Wohllaut, mit berauschendcr Melodie? Man singe cinmal
die Stelle, wo das Benedictus von den Bässen getragen wird, aus innerster
Seele mit, ob es nicht eine küstliche Eingebung ist? Bruckncr hat dicse Wcisc
auch dem -Vckagio der zweiten Symphonie eingeflochten; das ganze Benediclus
ist ja überhaupt ein solchcr ^ck-rgio-Satz. Und daran knüpft sich gleich die
allgemeine Beobachtung, daß Bruckners Symphonieen zum großcn Teil
»Messen ohne Worte" sind, daß in ihnen die religiöse Reinheit ihres Schöpfers
ebenso hell erstrahlt wie in den Kirchenkompositionen- Schon darum ist es
geraten, den Meister zucrst in seinen Vokalwerken kennen zu lernen; manches
Gesangmotiv, das zwar nicht noten- aber stimmungverwandt in der Symphonie
wiederkehrt, leitet zum Verständnis des Jnstrumentalen. Während also iin
Wagnerschen Musikdrama das Weltliche die vollcndetste Ausprägung erfahren
und sogar die Gesangmelodie neuen Stil bekommen hat, wirkt bci Bruckncr
umgekehrt das religiöse Elemcnt umschmelzend auf die ganze Orchestermusik:
die Symphonieen verhalten sich zu den Messen in der That wic Begründnngcn
Uanstwart
 
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