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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,1.1900-1901

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1900)
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Weber, Leopold: Gabriele D'Annunzio und sein "Feuer": auch eine Weihnachtsbetrachtung zur deutschen Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7961#0290

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ethischc Bcgriffe vom Käfcr vcrlangt: nur bezeichnc man dann dicsc Menschcn
nicht als hvchstcntwickelte Geister, nicht als Wcitcrentwickler und Fördercr der
Menschhcit, nicht als „Gcnics" und „Welterlöser", sondern als das, rvas sie
sind: gcrade im Gegentcil ivenig entivickcllc Namrcn, deren einseitige Sinnen-
verfeinerung an die Sinncnoerfeinerung bei Ticren crinnert, tiesstehende, ich-
Irunkne Gcnüßlinge, dcnen sich das menschlichc Leben in seiner Ganzheit gar
nicht erüffnct.

Abcr richtig, ich hätte beinah vcrgesscn, datz gcgen Schlutz des Buches
in Stelio, dcm Menschcn, der auf nichts vcrzichten kann, ivas seine Begierde
reizt, immerhin cine Art seclischer Entivicklung und Läuterung insofern vor sich
geht, als cr nun allmählich doch einsieht, datz .einzig langsame und unbezwing-
liche Beharrlichkeit, strcnge und lautere Einsamkeir, einzig die völlige Hingabe
von Leib und Secle nn die Jdec, die wir inmitten der Menschcn schaffen
wollen, cincn Wcrt haben." Da abcr diese beherrschende Jdee bci ihm, wic
wir geschn, um ihrcr selbst willen zu intensivstem Genutz verpflichtet, so kann
ich aus scincm Entschluh im Zusammcnhang mit dem Vorhergehenden beim
bestcn Willcn nichts andrcs als die Absicht hcrauSlescn, sich wührend der
Arbeit an scincm Werk allcn Zcrstrcuungen strcng zu entziehcn. Tas ist nun
wiedcr uns .nordischen Barbarcn" ctwas so Selbstverständliches, datz wir
darin unmöglich dcn Gipfclpunkt irgend ciner grotzartigcn Entwicklung
bcwundcrn könncn, wie die Foscarina, dcrcn Augcn ,sich mit Thränen füllen
bci scincn gcdämpftcn Wortcn, in dcnen sie die Ticfe männlichcr Leidenschaft
fühlt und das hcroische Bcdürfnis moralischcr Ucbcrwindung" u. s. s.

Aber auch in der Art, wie D'Annunzio das Verhältnis der Foscarina
zu Stelio schildert, kann ich wcder clwas von licfercr Tragik noch von
seelischer Entwicklung in ticfcrcm Sinn finden. Ia, hättc D'Annunzio uns vor
Augcn gcführt, wic die Tragödin sich zu der Erkenntnis durchringt, datz sie der
sinnlichcn Liebe zu Stclio cntsagcn müssc, cs hätte cin Schauspicl von h öh crcm
Reiz geben künnen. An dcr Wisscndcn jedoch, die nur cincn sozusagen phpsischen
Nücksall erlcidet, was gibt's an der zu verfolgen, als das sensitive Hin und
Her ciner crnicdrigtcn Seele, dic schlictzlich vom Schicksal gezwungen wird,
daS, waS sic ja schon lüngst als das Ncchte crkannt hat, endlich auch zu thun?

Soll ich nun noch nachzuweiscn versuchcn, datz cin Mcnsch von cincr
Seichthcit des Charaktcrs und der Lebensanschauungen, wie Stelio, mit einem
Wagner innerlich nicht oiel zu thun habcn kann? Datz es nicht die ticfe,
seclischc Bcdeutung dcs .Barbarcn" ist, die D'Annunzio bczwingt, sondcrn
datz cs ncben Wagncrs Wcltruhm nur die .Sensationen', die von seinem
Seelenlebcn ausgchn, dic ncucslcn ,Schaucr", die cr .lehrt", scin können, die
üen .ErlüserJtalicns" von ihm nicht loskommen lasscn? Ich denkc, ich kann's
mir ersparcnl

Ebcnso llar ist cs wohl auch, dah Gcislcsgröhe nicht gut vorhandcn scin
kann, wo Scclcnticse so vüllig sehlt. Solchen, die mir das nicht glaubcn wollen,
brauche ich nur in Erinncrung zu rusen, in wclch „genialcr" Wcise D'Annunzio
dcn mvdcrncn Mcnschcn dcn Sicg übcrö Schicksal erringcn lätzt. .Der Brudcr,
dcr die Schwestcr tötct, um seinc Scclc vor dcm Entseylichcn zu rcttcn, das cr
ihr zusügcn will", er .bcfrcit sich durch dic rcinc That." Tas hcitzt, aus dem
Schwulst D'Annunzios in dürrc Worlc übcrtragcn: Jch bcfreic mich von eincr
Unthat dadurch, datz ich dic Pcrson, an dcr ich dic Sündc bcgehcn will,
umbringc. Einc wundcrvoll ticfe Ethik. Um sich aber die charaklcristischc
Bedeutung diescr Entdcckung für D'Annunzios Seclenlcbcn in voller Stärkc zu

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