nichts verzichten, was mein Begehren reizt!", uni> weiter schildert ihn
D'Annunzio als einen, ,der keine andern Qualen kannte als die Lcidenschaften
seiner Begierde und die Seelenkümmernisse seines Ehrgcizes".
Das scheint nun doch ein seltsames Charakterbild von einem Erlöser zu
geben, wenn's auch allenfalls zu einem Uebermenschen nach dem Ebenbild der
Mißdcuter Nietzsches langen mag. Was kann denn einer, dcr nicht zu bemit-
leiden versteht, der auf nichts verzichten kann, in ethischer Beziehung dcr
Welt bieten, und wissen wir etwa nicht, daß Schönhcit und Sittlichkeit
ihre gemeinsame Quelle im Wesenswillcn d. h. cben im Ethos haben?
Fühlt man denn nicht, welche Enge des Geistes und des Gemüts es voraus-
setzt, wenn einer bliud für alles Leid der Welt rings um sich herum durchs
Dasein rennt, das ihn nichts andres kennen lehrt, „als die Leidenschaftcn
seiner Begierde und die Seelenkümmernisse seines Ehrgeizes" ?
Kann es uns Wunder nehmcn, wcnn dann einem so kleincn Charakter
die Geliebte in ihren Schmerzen nur »ein Motiv zu Visioncn und Erfindungen
ist, wie die Hügel, die Wälder, die Regen" und rvenn cr sie zuletzt in ihrem
Leide, wie wir schon gesehn, einfach als Modell vcrwendct? Oder sollen
wir gar am Ende diesen ästhetischcn Handwerkcrtrieb, dcr in allem Erlebnis
nur das Material zu seinen Kunstzwecken wahrnimmt und benützt, als Künstlcr-
größe empfindcn? Jch denke, der Künstler von scelischer Bedeutung ist zuerst
Mensch, der lebt, und dann Techniker, wie ihm seine Künstlerschaft weder cin
Beruf, noch ein wonnevolles Spiel, sondern eben das notwcndige Ergebnis,
die höchste Blüte seines tiefsten Mcnsch e n tums ist. Eben dcshalb wcnigstcns
sind wir alle am Kunstwart von je die Todfcinde der pour I'-iet" gcwcscn.
Wenden wir uns von dieser Charaktcrbetrachtung dem zu, was Stclio
lehrt, was er als sein Weckerprogramm der Gesellschaft im Dogcnpalastc vortrügt.
»Sie" (die Stadt Venedig), sagt er: „lehrt uns, daß der Genuß das
sicherste, uns von der Natur gebotcne Mittel zur Erkenntnis ist, und daß, wcr
mchr gelitten, wenigcr wissend ist, als wcr nichr genossen." Und das höchste
Ziel fürs Menschcnwollen lautet ihm: „in Freudc schaffcn!" Dic Quintesscnz
mithin: Genieße, spricht die höchste Wcisheit, so wirst du fähig, in Frcudc zu
schaffen!
Da ständen wir aber wiedcr vor den mächtigcn Worten eines in Wahrheit
kleinlichen Geistes. Gewiß, die Fähigkeit, in Frcudc zu leben und zu arbcitcn,
wird einem jeden als daS höchst Errcichbarc winkcn; nber kann dcnn der
Mensch von reicherem Geistes- und Seelenlebcn durch dcn Gcnuß allein
oder auch nur den Genuß h auptsä ch l i ch dazu gelangen; muß cr sich da
nicht vorher, so durstig er sich auch nach Glück strcckcn mag, mit dem Lcbcn in
allen ihm zugänglichen Erscheinungen auseinandcrgcsetzt, mit der eigncn Not
Not und Elcnd seines ganzen Geschlcchts in sich durchgekümpft und innerlich
überwundcn haben, bis daß cr freudig zu sprechcn verinag: und cs ist doch
eine Lust zu lebcn? .Freudc, Schwcstcr des Schmcrzes du!" heißt's für
alle, die nicht ,wie Kinder glaubcn". D'AnnunzioS besondcre Lehre vom
.Genuß" dagegcn ist wirklich nichts weiter, als das mit allerhand gcisl-
reichen Schutzgedanken ansehnlicher gcmachtc gcnialische .SichauSlcben-
wollen" unsrer modischcn Gernegroße, dicscs Sichauslebenwollen, das
jungenhast allem Neizcnden nachlüuft und nicht begreist, daß „Sich Aus-
leben" sür jeden Ticserbegabtcn bedeutet, nicht nur dic Nechtc, sondcrn auch
die Pflichtcn zu übernehmcn, die einem die cigne Natur aufgibt. Allerdings
legt ja die Natur nicht jedermann Pflichtcn auf, sie thut cs so wcnig, wie sie
Aanstwart
D'Annunzio als einen, ,der keine andern Qualen kannte als die Lcidenschaften
seiner Begierde und die Seelenkümmernisse seines Ehrgcizes".
Das scheint nun doch ein seltsames Charakterbild von einem Erlöser zu
geben, wenn's auch allenfalls zu einem Uebermenschen nach dem Ebenbild der
Mißdcuter Nietzsches langen mag. Was kann denn einer, dcr nicht zu bemit-
leiden versteht, der auf nichts verzichten kann, in ethischer Beziehung dcr
Welt bieten, und wissen wir etwa nicht, daß Schönhcit und Sittlichkeit
ihre gemeinsame Quelle im Wesenswillcn d. h. cben im Ethos haben?
Fühlt man denn nicht, welche Enge des Geistes und des Gemüts es voraus-
setzt, wenn einer bliud für alles Leid der Welt rings um sich herum durchs
Dasein rennt, das ihn nichts andres kennen lehrt, „als die Leidenschaftcn
seiner Begierde und die Seelenkümmernisse seines Ehrgeizes" ?
Kann es uns Wunder nehmcn, wcnn dann einem so kleincn Charakter
die Geliebte in ihren Schmerzen nur »ein Motiv zu Visioncn und Erfindungen
ist, wie die Hügel, die Wälder, die Regen" und rvenn cr sie zuletzt in ihrem
Leide, wie wir schon gesehn, einfach als Modell vcrwendct? Oder sollen
wir gar am Ende diesen ästhetischcn Handwerkcrtrieb, dcr in allem Erlebnis
nur das Material zu seinen Kunstzwecken wahrnimmt und benützt, als Künstlcr-
größe empfindcn? Jch denke, der Künstler von scelischer Bedeutung ist zuerst
Mensch, der lebt, und dann Techniker, wie ihm seine Künstlerschaft weder cin
Beruf, noch ein wonnevolles Spiel, sondern eben das notwcndige Ergebnis,
die höchste Blüte seines tiefsten Mcnsch e n tums ist. Eben dcshalb wcnigstcns
sind wir alle am Kunstwart von je die Todfcinde der pour I'-iet" gcwcscn.
Wenden wir uns von dieser Charaktcrbetrachtung dem zu, was Stclio
lehrt, was er als sein Weckerprogramm der Gesellschaft im Dogcnpalastc vortrügt.
»Sie" (die Stadt Venedig), sagt er: „lehrt uns, daß der Genuß das
sicherste, uns von der Natur gebotcne Mittel zur Erkenntnis ist, und daß, wcr
mchr gelitten, wenigcr wissend ist, als wcr nichr genossen." Und das höchste
Ziel fürs Menschcnwollen lautet ihm: „in Freudc schaffcn!" Dic Quintesscnz
mithin: Genieße, spricht die höchste Wcisheit, so wirst du fähig, in Frcudc zu
schaffen!
Da ständen wir aber wiedcr vor den mächtigcn Worten eines in Wahrheit
kleinlichen Geistes. Gewiß, die Fähigkeit, in Frcudc zu leben und zu arbcitcn,
wird einem jeden als daS höchst Errcichbarc winkcn; nber kann dcnn der
Mensch von reicherem Geistes- und Seelenlebcn durch dcn Gcnuß allein
oder auch nur den Genuß h auptsä ch l i ch dazu gelangen; muß cr sich da
nicht vorher, so durstig er sich auch nach Glück strcckcn mag, mit dem Lcbcn in
allen ihm zugänglichen Erscheinungen auseinandcrgcsetzt, mit der eigncn Not
Not und Elcnd seines ganzen Geschlcchts in sich durchgekümpft und innerlich
überwundcn haben, bis daß cr freudig zu sprechcn verinag: und cs ist doch
eine Lust zu lebcn? .Freudc, Schwcstcr des Schmcrzes du!" heißt's für
alle, die nicht ,wie Kinder glaubcn". D'AnnunzioS besondcre Lehre vom
.Genuß" dagegcn ist wirklich nichts weiter, als das mit allerhand gcisl-
reichen Schutzgedanken ansehnlicher gcmachtc gcnialische .SichauSlcben-
wollen" unsrer modischcn Gernegroße, dicscs Sichauslebenwollen, das
jungenhast allem Neizcnden nachlüuft und nicht begreist, daß „Sich Aus-
leben" sür jeden Ticserbegabtcn bedeutet, nicht nur dic Nechtc, sondcrn auch
die Pflichtcn zu übernehmcn, die einem die cigne Natur aufgibt. Allerdings
legt ja die Natur nicht jedermann Pflichtcn auf, sie thut cs so wcnig, wie sie
Aanstwart