DOI Heft:
Heft 10 (2. Februarheft 1901)
DOI Artikel:Batka, Richard: Giuseppe Verdi
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.7961#0459
Giuseppe Veräi.
Zur selben Zeit, in der die Berichte über die Niederlage dcr
Mascngnischcn Maskenoper, welchc sich keck vermaß, die Wcltherrschaft
Jtalicns in der Musik wiedcr aufzurichten, über den Erdkreis flogen,
traf die italienische Kunst ein viel herberer Schlag: dcr alte Verdi
legte sich hin, um zu sterbcn. Er, der so ehrfurchtgebietend in unsere
Gcgenwnrt hincinragtc, ehrfurchtgcbietend nicht nur durch sein Greisen-
alter, sonderu nicht minder durch die gereifte Meisterschaft seincs
Könncns, durch die ausgegorene Genialität seiner Anlagen: er hat
seine leuchtcnden Künstleraugen sür immer geschlossen, und die
Glocken von Mailand läutetcn ihm das Totenlicd. Ja, Jtalien hnt
gercchte Ursach zum Trauern. Er, den es als seinen Stolz ansah,
den es als einen Fürstcn seincs Geistcs geliebt und der scine Kunst
mit Ehren in alle zivilisiertcn Länder getragen hat: er ist dahin-
gegangen. Und wer soll sein Erbe werden, jetzt, da die nächsten
Anwärter, die Mascagni und Leoncavallo, je länger je mehr
vcrsagen? Auch die Puccini, Giordano, Tasca u. s. w. flößcn kein
rechtes Vertrauen cin, und an Perosis Beruf zum neucn Palcstrina
glauben nur Lcute vom Kardinal aufwärts. Ein Enrico Bossi freilich
erweckt Hoffnungen, abcr auch er wirkt nicht auf dem Bodcn der Oper,
der in Jtalicn dic cinzige Nuhmesstaffcl bildet, und die Summe von
Anschn und Kunstcrfahrung, die sich in der Person des großen Alten
von Busscto vercinigte, kann er natürlicherweise nicht ersetzen.
Für die allgemeinc Entwickelungsgeschichte der Musik kommt Vcrdi
allcrdings nur wenig in Betracht. Er hat keinc »Richtung^ begründct,
die ihren Einfluß übcr dic Grenzcn seincr Heimat erstrcckt hätte. Aber
das lcbendige Operngetriebe Europas hat cr in ciner Weise beherrscht,
wie sclten cin Mcister, und in unsern Tagen war cr als der bedeutendste
zcitgenössische Opcrnkomponist allgcmcin aneekannt. Es gibt keine deutsche
Opcrnbühne, in dcren Spiclplan Verdi keinen sesten Plat; behauptcte,
und in diesem Sinne ist er seit einem halben Jahrhundert etwa doch
Kunstwart 2. Februarheft zzoz
Zur selben Zeit, in der die Berichte über die Niederlage dcr
Mascngnischcn Maskenoper, welchc sich keck vermaß, die Wcltherrschaft
Jtalicns in der Musik wiedcr aufzurichten, über den Erdkreis flogen,
traf die italienische Kunst ein viel herberer Schlag: dcr alte Verdi
legte sich hin, um zu sterbcn. Er, der so ehrfurchtgebietend in unsere
Gcgenwnrt hincinragtc, ehrfurchtgcbietend nicht nur durch sein Greisen-
alter, sonderu nicht minder durch die gereifte Meisterschaft seincs
Könncns, durch die ausgegorene Genialität seiner Anlagen: er hat
seine leuchtcnden Künstleraugen sür immer geschlossen, und die
Glocken von Mailand läutetcn ihm das Totenlicd. Ja, Jtalien hnt
gercchte Ursach zum Trauern. Er, den es als seinen Stolz ansah,
den es als einen Fürstcn seincs Geistcs geliebt und der scine Kunst
mit Ehren in alle zivilisiertcn Länder getragen hat: er ist dahin-
gegangen. Und wer soll sein Erbe werden, jetzt, da die nächsten
Anwärter, die Mascagni und Leoncavallo, je länger je mehr
vcrsagen? Auch die Puccini, Giordano, Tasca u. s. w. flößcn kein
rechtes Vertrauen cin, und an Perosis Beruf zum neucn Palcstrina
glauben nur Lcute vom Kardinal aufwärts. Ein Enrico Bossi freilich
erweckt Hoffnungen, abcr auch er wirkt nicht auf dem Bodcn der Oper,
der in Jtalicn dic cinzige Nuhmesstaffcl bildet, und die Summe von
Anschn und Kunstcrfahrung, die sich in der Person des großen Alten
von Busscto vercinigte, kann er natürlicherweise nicht ersetzen.
Für die allgemeinc Entwickelungsgeschichte der Musik kommt Vcrdi
allcrdings nur wenig in Betracht. Er hat keinc »Richtung^ begründct,
die ihren Einfluß übcr dic Grenzcn seincr Heimat erstrcckt hätte. Aber
das lcbendige Operngetriebe Europas hat cr in ciner Weise beherrscht,
wie sclten cin Mcister, und in unsern Tagen war cr als der bedeutendste
zcitgenössische Opcrnkomponist allgcmcin aneekannt. Es gibt keine deutsche
Opcrnbühne, in dcren Spiclplan Verdi keinen sesten Plat; behauptcte,
und in diesem Sinne ist er seit einem halben Jahrhundert etwa doch
Kunstwart 2. Februarheft zzoz