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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,1.1900-1901

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Heft 9 (1. Februarheft 1901)
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Welti, Albert: Bei Böcklin
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Kunowski, Lothar von: Lionardo da Vinci als Organisator, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7961#0433

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Schauspiel gepflegt wird. Bei der Gelegeuheit fragte mich die Frau
Professor, was ich denn dazu sagte, datz ihr Mann sich in so karrierten
Hosen gemalt habe. Und während mir der Professor im Atelier seine
Bilder zeigte, die er wicder ganz in Tempera gemalt, darunter eine wunder-
volle Meerlandschaft, die Henneberg besitzt, gab die Frau Professor
meinem Fraueli gute Lehren, wie sie sich als Gattin eines Malers zu
verhalten habe. Es war ein wundervoller Nachmittag.

Seitdcin sah ich einmal den Meister in München unter den Hof-
arkaden, er hatte eine ofsene Freude an unserem Buben und sagte: das
ist ein rechter Zürihagel (er sagte immer Hagel statt Hegel). Endlich
zum letzten Mal, und ich sühlte es, datz es zum letzten Male war, sah
ich dcn Meistcr in sciner schöncn Villa in Florenz vor bald zwei Jahren.
Auch jetzt war er noch geistig srisch und sah es nicht gerne, wenn man
bemerkte, datz er sein Bein nur langsam über eine Schwelle heben
konnte. Er und seine Gemahlin genossen unter den blühenden Bäumen
das Lebcn noch recht schön, sreuten sich über ihre blühenden Rosen,
zeigtcn mir ihre schöne Villa, dic nach den Plänen ihres Sohnes Carlo
erbaut war: diescr hatte auch pompejanische Fresken hineingemalt nach
den Entdeckungen des Münchner Malers Berger. Sie zeigten mir beide
Ateliers, das des Vatcrs und das des Sohnes, der gerade an dem
Tage am Typhus erkrankt war, was man aber noch nicht wutzte.
Dann durfte ich mit mcinem Meister noch eine Flasche Asti trinkcn.
An den Wänden hingen so vicle Zeugen jcner Zeit in Hottingen oben.
Jch nahm schwer Abschied. Albert welti.

Licmaräo äa Vinci als Organisalor.

(Schlutz.)

Alle Formen verwandtcr Geschöpfe sind einem gleichen Gesetz der
Proportion unterthan. Lionardo beobachtete, dah viele Künstler in ihren
Werkcn die Proportionen ihres eigenen Körpers auf die Geslaltcn ihrer
Phantasie übertragcn und diese Beobachtung zwang ihn täglich zu neuen
Betrachtungen. Er warnt seine Schüler unermüdlich, ihre eigene Un-
vollkomznenheit zum Gcsetz ihrer Kunst zu machcn, er hält ihnen vor,
daß sie unrettbar diesem Fehler verfallen würden, wenn sie nicht ganz
bewutzt eine Gegenmatzregel ergriffen. Wenn der Untersetzte seine Figuren
nicht allc untcrsetzt, wenn der Langbeinige seine Figuren nicht lang-
beinig, wenn nicht jcdcr Künstler in den Physiognomien scines Werkes
immer die eigene Physiognomie wiederholen wolle, so müsse er sich klar
werden über scine cigcne Persönlichkeit und erst, wenn er sich dessen
bewutzt geworden sei, worin der Fehler in den Proportionen seiner
Erscheinung bcstünde, werdc er die Wclt mit Werken von vollkommener
Proportion beglückcn können. Er klärte seine Schüler darüber auf, datz
alle Vollkomnlenheit des Werkcs aus Veroollkonnnnung der Person des
Künstlcrs beruhe und so fatzt er denn scine Meinung über die Thatsache,
datz dic Figuren ostmals ihrcn Meistcrn gleichcn, in folgende Worte
zusammen: „Dics ist dcr Fall, wcil das, was die Hand bei Hervor-
bringung der Zeichnung sclbigcr Figurcn nach verschiedenerlei Nichtung
hinlenkt, bis er sich cndlich Genüge gethan hat, unser Urteil ist, das ist
einc dcr Kräfte unscrcr Scclc und zwar die, mittelst deren die Seele

(. Februarbefi lyoi

or
 
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