Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,1.1900-1901

DOI Heft:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1900)
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.7961#0096

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
tive nach dem Vorbilde des Originals
ergänzt und damit eine wirllich „auf-
führbare" Oper hergestellt, die durch
die feierliche Pracht ihrer Chorlprir
und durch den teils lieülichen, teils
feurigen Fluß der Melodien in den
Arien unter den Gluckschen eine ganz
besondere Stelle einnimmt und überall
Jnteresse und Aufsehen erregen dürfte.

* Die Saifon.

,Der alte Sturm, die alte Müh'!
Doch stand muß ich hier halten!"
Nicht bloß Musiker von Fach, aus-
übende und aufnehmende, sind's, die
so citieren in diesen Tagen, auch
mancher aus dem Publikum seufzt mit
Wotan, mancher, den die gesellschaft-
liche Anstandspflicht in die Konzert-
säle fordert, während er so gern zu
Haus bliebe, vielleicht gar nicht um
zu essen und zu trinken oder auszu-
ruhen, nein, um ein gutes Buch zu
lesen oder sich seine eigene Musik zu
machen, vierhändig oder zweihändig,
je nachdem.

Ja, die Konzertflut verschlingt nicht
bloß Geld und Zeit, sondern auch
manche künstlerische Neigung, sie macht
zum Geschäft, zur Gewohnheit, zum
Alltagstreiben, zur Last, was Feier
und Freude sein sollte. Ein paar Rat-
schläge fallen vielleicht wenigstens bei
einigen der Armen auf guten Boden:
Gehe nicht zu oiel in Konzertc. Gehe
nicht wegen eines Modekünstlers hin.
Gehenicht, wenn's ganz neue, schwierige
Werke gibt und du nicht sehr geschult
im tzören oder unvorbereitet bist. Du
langweilst dich sonst und schließest dich
den Schreiern an, die über moderne
Kunst schelten, weil sie noch nicht reif
dafür sind. Dann bleib also lieber
daheim. Such dir in jedem Winter
neben den dir schon bekannten großen
Werken, die du nun zu deiner Freude
wieder hörst, einige nur aus, vvn
denen du aus gewissenhaftem Munde
weißt, sie sind wirklich große Kunst;
auf die bereite dich vor und die genieße.
Du wirst so im Laufe der Jahre fast
Aunstwart

— 8,

alles Große kennen lernen, was wert
ist, gekannt zu werden Halte dich
grundsätzlich unter allen Umständen
von allem wertlosen Zeuge ferne. Du
behültst damit eine Menge Zeit für
gute Kunst übrig. Gehe nicht in die
Aufführung eines dürftigen Orato-
riums, weil darin Frl. A. das Sopran-
Solo singt. Gehe nie in ein Virtuosen-
konzert. 'Jn einem anständigen Konzert
suche es so einzurichten, daß du weg-
gehen kannst, wenn die Hexentänze
angehen. Schere dich nicht um „Auf-
fassungen". Du gehst in ein Konzert,
um die Owoll-Symphonie zu hören,
nicht um dich von dem kitzeln zu lassen,
was Herr Kapellmeister B. draus macht.
Dann geh lieber gleich zu Dressel. —
Bei jedem Werke denke daran, was der
Komponist damit hat geben wollen,
höre es aus seinem Wesen heraus.
Grüble nicht, sondern gib dich hin,
suche nachzufühlen. Vcrliere dich
nicht in Einzelheiten. Fordre nicht
von Haydn Wagner-Tuben und von
Richard Strauß Kinder-Symphonien.
Achte alle ernste Kunst, sei still, wenn
du was nicht verstehst. Lobe nicht,
was dir gleich wie ein offenes Buch
vor der Nase liegt. Ueberhaupt:
Klatsche nicht über Konzerte. Zum
Verständnis des Musikalischen bist du
als Laie nicht verpslichtet und über
das Künstlerische, das Seelische redet
man nicht im Haufen der Konzert-
läufer, wenn's einem wirklich ans Herz
gegangen ist. Sei nicht einseitig. Denk'
nicht, weil du deine zehn Orchester-
konzerte abonniert hast, wärst du ein
kluger Mann. Fünf Orchesterkonzerte
wären auch genug, ein paar Chor-
konzerte dazu, einige Kammermusik-,
Klavier- und Liederabende, aber nur
von Künstlern, nicht Virtuosen: das
sei dein Programm. Glaube nicht, du
müssest jeden Winter alle neun
Symphonien von Beethoven gehört
haben, oder das sei eine Leistung. Du
vergissest sonst manches, was auch
gern zu dir sprechen möchte. Jmmer
 
Annotationen