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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,1.1900-1901

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Heft 3 (1. Novemberheft 1900)
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Bartels, Adolf: Romane und Erzählungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7961#0109

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Werke von A. E. Brachvogel erinnernd, ohne deren Fülle. Wenn man ein
Dutzend Romane des älteren Dumas oder noch besser die Jakobs des Biblio-
philen (Paul Lacroix) gelesen hat, kann man ein solches Werk ohne besondere
Mühe zusammenschreiben. Jch habe nichts gegen den Jntriguenroman zu
Unterhaltungszwecken, aber ich verlange von ihm zum mindesten, daß er sehr
gut gemacht sei, datz er überall jene täuschende Wahrscheinlichkeit besitze, die auch
den erfahrenen Leser wenigstens zunächst einmal überrumpelt. Die fehlt jedoch
vielfach bei Würzburg, und auch sein Stil ist ziemlich ungeschickt und charakter-
los, sieht beinahe wie eine Uebersetzung aus dem Französischen aus (,durch
das geöffnete Portal dringt die Menge der kostbaren Höflinge herein" —
da würde im Französischen denn xrecieux stehenl). — Johanna Niemanns
vaterländischer Roman »die beiden Nepubliken", schon in zweiter Auflage erschienen
(Dresden, Reitzner), ist eines der beachtenswerten Werke, die den Uebergang
zur Heimatkunst bezeichnen. Es ist eine Familiengeschichte auf dem Hinter-
grunde der von Napoleons Gnaden neugegründeten Danziger Republik. Schon
Edmund Hoefer hat die gleichen gemacht und starken Stimmungsgehalt er-
reicht, doch bringen die modernen Frauen mancherlei Kleines und Feines in
die Gattung hinein und nähern sich eben dadurch unserer Heimatkunst. Man
möchte noch mehr dieser Werke wünschen, selbst wenn sie zunächst nur
lokale Bedeutung erlangten, und auch Männerarbeit auf diesem Gebiete: bei
den Frauen mischt sich leicht Romanhaftes in weniger gutem Sinne ein. —
Aehnliche Werke wie dieser Roman von Johanna Niemann hat früher auch
Bernhardine Schulze-Smidt geschrieben. Jhre neueste Veröffent-
lichung ist ein Band Novellen: „Arkadien und andere Novellen* (derselbe Ver-
lag). Auch hier Uebergang zur Heimatkunst, freilich nur Uebergang: Erzäh-
lungen wie „Arkadien" erwachsen nicht unmittelbar dem Drange, die eigentüm-
liche Natur und das eigentümliche Leben der Heimat darzustellen, sondern die
Heimat wird sozusagen noch als Kunstmittel benutzt, hier z. B. um einen
starken Kontrast zu erzielen. Aber es ist keine Frage, datz die Verfasserin die
Marsch an der Wesermündung und ihre Menschen nicht blotz aus eigener An-
schauung, sondern auch mit Herzensanteil darstellt, und das gibt denn das Ent-
scheidende. Man sucht jetzt nicht mehr, wie früher so vielfach in der No-
velle, einen interessanten Schauplatz für seine Erzählung, sondern man hat
ihn. Bernhardine Schulze-Smidt ist auch in Ostpreutzen daheim, und so ist
ihr in einer agderen mehr modernen Novelle, die die Rückkehr eines ver-
pariserten Künstlers in die Heimat darstelll, auch das littauische Kolorit gut
gelungen. — Da oben im Nordosten spielen denn auch die Geschichten Fritz
Skowronneks „Masurenblut" (Berlin, Vita). Sie sind skizzenhaft, aber
reich an originellen Gestalten und trefflich in der Milieuschilderung. Das starke
Hervortreten des sinnlichen Elementes fällt auf, aber wir haben es da schwerlich
mit Dekadenz, sondern mit einer Eigentümlichkeit unseres Ostens zu thun:
das polnische Blut läuft etwas schneller als das deutsche. Die Sudermann
und Halbe sind dadurch auch zum Teil entschuldigt, wenn sie von der „dunkeln
Stunde", wie Hackländer einmal sagte, nicht loskommen. Ein großer deutscher
Poet mutz das freilich können.

Es sei hier noch ein Ausländer angeschlossen: der Russe Anton
Tschechoff, dessen humoristische Geschichten unter dem Titel: „Ein bekannter
Herr" Wladimir Czumikow übersetzt hat (Leipzig, E. Diederichs). Der Verlag
selbst bezeichnet Tschechoff als den russischen Maupassant, und in der That
haben wir hier das Genre der kleinen Erzählung des Franzosen, das jetzt über

Novemberheft ^o«
 
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