poetisch hochstehende Hcliand. Für dio mittelalterlich-scholastische Entwick-
lung muß man, nm den Hauch der Zeit zu spürcn, den Briefmechsel Abalards
und Heloisens lcsen; allcrdings nicht um sich dann mit cinem Fluch gegen
Abälards Herzlosigkeit zu erleichtern, sonderit uin sich in ihn hineinzudenken
und dadurch in seine Zeit. Heloisc nümlich rcpräscntiert mehr dcn Mcnschcn,
Abälard den Zeitgcist — mit gutem Grundc. Die liebcnswürdige Gcstalt dcs
hciligen Franziskus hat mchrere gutc Biographen gefunden, Karl von Hnsc,
dem wir auch andere schöne Ausschnittdarstellungen aus dem Mittelalter ver-
danken, und neuerdings Sabaticr. Thomas a Kcmpis „Itachfolge Christi",
die sonderbarerweise auch in protestantischen Häusern nebcn Bibel und Gesang-
buch verbreitetste Erbauungsschrift, hnt auch literarischen Wert, desgleichen aus
dem nachlutherischen Katholizismus PaScals Buch ..Gedanken".
Lusther selbst zu empfehlen, kann ich inich nicht überwinden. Er ist
keit, der Süßlichkeit, der
Heuchelei, der Schwäch-
lichkeit, der Philistrosität,
dcr Unzartheit, der Phra-
senhaftigkeit. Mir ist cs
untcr solchen Umständen
bedeutend licber, ihn uon
Nictzsche einen Rüpcl odcr
von Lagarde einen Tölpel
gcschimpft,als mit den be-
knnnten Schulnrteilen ge-
lobtzu hören. Nur wer sich
sicherglaubt, dem beschrie-
benen Jargon innerlich
entfernt gcnug zu wohnen,
sei cs, daß eine iiitcnsiucre
jargonlose Kenntnisjener
Zeit ihren Bannkrcis uin
ihn gezogen hat, sei es, daß
er unter andercn Bedin-
gungen nls wir übrigen
aufgcmachsen ist, sei cs,
daß cr aus anderen Grün-
den die Lutherschen Worte
in ihren noch unverbrauch-
ten Sinn zurückhören kann,
mag ihn lesen. Dic billigo
Braunschweigcr Ausgabe
ist zwar in der Auswahl
dcs zu Druckenden etwas
von püdagogischen Ge-
sichtspunktcu beeinflußt,
aber doch die empfehlens-
wcrteste. Denn die Voll-
ausgabcn sind gar zu umfangrcich. Man fange mit dcr Schrift vom Dolmetschen
an. Lebensgeschichten Luthers giebt es natürlich unzühlige. Jn künstlerischem
Bctracht die beste ist die kleine, von Gustav Freytag aus scincn Bildcrn
besonders herausgegebene. Die Lcnzschc Fcstschrift ist auch gut. Gcrühmt
wird außerdem Berger. Die sehr ausführliche vou Paul Martin iRade), nus
hundert Kolportageheften erwachsen, mit vielen Anführungen aus Luthers Werken,
ihrem Zweck gemäß im „Volkston", wird von sachvcrständigcr Seite schr gclobt.
Zu diesen Biographien dient als Ergänzung die Bezoldsche Reformations-
geschichte.
An tüchtigen Liederdichtern ist wedcr Mangcl noch Ueberfluß. Die nn-
schauliche Kraft der Rcformationszeit ist zwar nic ivieder erreicht ivorden, doch
giebt es eine ganze Reihe von auch künstlcrisch tüchtigen Liederdichtern bis in
unser Jahrhundert hinein. Eine gute Auswahl nach ästhetischen Gesichtspunktcn
ist mir nicht bekannt. Die Gegenwart schweigt; und schon Gerock und Sturm
waren doch nur recht bescheidene Talente. Der letzte bedeutende war Ernst
Auiistwart
mir — zu schade dazu. Jch
halte ihn für die größte
künstlerische Kraft,über die
unser Schrifttum verfügt.
Schon allein der Umfang
seiner Stimme! Er kann
allessagen, von einer fast
burlesken Drastik über die
hochgeschwungenste er-
schütternüste Tragik bis
zur innigsten Stimme der
Liebe und von dem wilde-
sten Trotz bis zu der gesetz-
testen Hausvaterweisheit.
Und doch glaube ich, daß
unsere Zeit noch ganz fern
von der Möglichkeit steht,
ihn wirklich unbefangen
würdigenzukönnen.Seinc
Sprache ist Kirchensprache
geworden, zwölf lange
Schuljahrc sind für jeden
von uns über sie weggetre-
ten. Unzähligemale aus-
wendig gelernt, abgehört
und — was das Schlimm-
steist— „füreinkindliches
Verständnis erklärt", d.h.
trivial gemacht, ist sie für
uns ein Jargon geworden,
von dem fast jedes Wort
belastet ist mit einer Fülle
der unangenehmsten Ne-
benwerte der Langwcilig-
Harzcr Tracht.
Au8 Hoffmauns .Harz".
(Lcipzig, Amclang.l
eso
lung muß man, nm den Hauch der Zeit zu spürcn, den Briefmechsel Abalards
und Heloisens lcsen; allcrdings nicht um sich dann mit cinem Fluch gegen
Abälards Herzlosigkeit zu erleichtern, sonderit uin sich in ihn hineinzudenken
und dadurch in seine Zeit. Heloisc nümlich rcpräscntiert mehr dcn Mcnschcn,
Abälard den Zeitgcist — mit gutem Grundc. Die liebcnswürdige Gcstalt dcs
hciligen Franziskus hat mchrere gutc Biographen gefunden, Karl von Hnsc,
dem wir auch andere schöne Ausschnittdarstellungen aus dem Mittelalter ver-
danken, und neuerdings Sabaticr. Thomas a Kcmpis „Itachfolge Christi",
die sonderbarerweise auch in protestantischen Häusern nebcn Bibel und Gesang-
buch verbreitetste Erbauungsschrift, hnt auch literarischen Wert, desgleichen aus
dem nachlutherischen Katholizismus PaScals Buch ..Gedanken".
Lusther selbst zu empfehlen, kann ich inich nicht überwinden. Er ist
keit, der Süßlichkeit, der
Heuchelei, der Schwäch-
lichkeit, der Philistrosität,
dcr Unzartheit, der Phra-
senhaftigkeit. Mir ist cs
untcr solchen Umständen
bedeutend licber, ihn uon
Nictzsche einen Rüpcl odcr
von Lagarde einen Tölpel
gcschimpft,als mit den be-
knnnten Schulnrteilen ge-
lobtzu hören. Nur wer sich
sicherglaubt, dem beschrie-
benen Jargon innerlich
entfernt gcnug zu wohnen,
sei cs, daß eine iiitcnsiucre
jargonlose Kenntnisjener
Zeit ihren Bannkrcis uin
ihn gezogen hat, sei es, daß
er unter andercn Bedin-
gungen nls wir übrigen
aufgcmachsen ist, sei cs,
daß cr aus anderen Grün-
den die Lutherschen Worte
in ihren noch unverbrauch-
ten Sinn zurückhören kann,
mag ihn lesen. Dic billigo
Braunschweigcr Ausgabe
ist zwar in der Auswahl
dcs zu Druckenden etwas
von püdagogischen Ge-
sichtspunktcu beeinflußt,
aber doch die empfehlens-
wcrteste. Denn die Voll-
ausgabcn sind gar zu umfangrcich. Man fange mit dcr Schrift vom Dolmetschen
an. Lebensgeschichten Luthers giebt es natürlich unzühlige. Jn künstlerischem
Bctracht die beste ist die kleine, von Gustav Freytag aus scincn Bildcrn
besonders herausgegebene. Die Lcnzschc Fcstschrift ist auch gut. Gcrühmt
wird außerdem Berger. Die sehr ausführliche vou Paul Martin iRade), nus
hundert Kolportageheften erwachsen, mit vielen Anführungen aus Luthers Werken,
ihrem Zweck gemäß im „Volkston", wird von sachvcrständigcr Seite schr gclobt.
Zu diesen Biographien dient als Ergänzung die Bezoldsche Reformations-
geschichte.
An tüchtigen Liederdichtern ist wedcr Mangcl noch Ueberfluß. Die nn-
schauliche Kraft der Rcformationszeit ist zwar nic ivieder erreicht ivorden, doch
giebt es eine ganze Reihe von auch künstlcrisch tüchtigen Liederdichtern bis in
unser Jahrhundert hinein. Eine gute Auswahl nach ästhetischen Gesichtspunktcn
ist mir nicht bekannt. Die Gegenwart schweigt; und schon Gerock und Sturm
waren doch nur recht bescheidene Talente. Der letzte bedeutende war Ernst
Auiistwart
mir — zu schade dazu. Jch
halte ihn für die größte
künstlerische Kraft,über die
unser Schrifttum verfügt.
Schon allein der Umfang
seiner Stimme! Er kann
allessagen, von einer fast
burlesken Drastik über die
hochgeschwungenste er-
schütternüste Tragik bis
zur innigsten Stimme der
Liebe und von dem wilde-
sten Trotz bis zu der gesetz-
testen Hausvaterweisheit.
Und doch glaube ich, daß
unsere Zeit noch ganz fern
von der Möglichkeit steht,
ihn wirklich unbefangen
würdigenzukönnen.Seinc
Sprache ist Kirchensprache
geworden, zwölf lange
Schuljahrc sind für jeden
von uns über sie weggetre-
ten. Unzähligemale aus-
wendig gelernt, abgehört
und — was das Schlimm-
steist— „füreinkindliches
Verständnis erklärt", d.h.
trivial gemacht, ist sie für
uns ein Jargon geworden,
von dem fast jedes Wort
belastet ist mit einer Fülle
der unangenehmsten Ne-
benwerte der Langwcilig-
Harzcr Tracht.
Au8 Hoffmauns .Harz".
(Lcipzig, Amclang.l
eso