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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,1.1900-1901

DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarheft 1901)
DOI Artikel:
Göhler, Georg: Musikalische Erziehung, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7961#0385

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Bildungsstufe. — Uebrigens ist zu betouen, daß selbst musikalisch die
Grenzen viel zu weit sind, daß die Anforderungen, die man beim Ein-
tritt stellt, viel höher sein müßten. Es möge bei dieser Gelegenheit
einmal darauf hingewiesen werden, daß die große Menge von Prole-
tariat, das unter dem Namen „konservatoristisch gebildeter Musiker" in
der Welt herumläuft, lediglich dieser Weitherzigkeit sein Dasein verdankt-
Wenn die Konservatorien Anspruch darauf machen, Bildungsstätten zu
sein, die der Kultur des Volkes Segen bringen, dann werden sie zu-
allererst einmal wählerischer und kritischer den Elementen gcgenüber sein
müssen, die sich zudrängen. Es ist ja nichts so türicht, als zu glauben,
weil einer Vierteltöne unterscheidet und absolutes Gehör hat, wcil er
sofort alle Musik, die er einmal gehört hat, nachspielt, weil er technisch
für ein Jnstrument veranlagt ist, habe er die Berechtigung, die Kunst
zu seinem Lebensberufe zu machen. Musikalische Veranlagung ist so
häufig, daß auf Grund von ihr allein ke i n er Anspruch auf musikalische
Fachausbildung hat. Künstlerisch sind solche Naturen oft günzlich
unbrauchbar. Sie sind Spezialisten, wie meinetwegen ein Schlangen-
mensch. Solcher Schlangenmenschen gibt's viel auf den Konservatorien,
ja oft handelt sich's sogar um Züchtung solcher Muster-Exemplare.

Denn noch einmal: was ist cigentlich das Ziel eincs Konserva-
toriums? Die Volksschule hat ihren Zweck, das Gymnasium, die
Realschule haben den ihren. Wer das Abiturientenzeugnis in der Tasche
hat, der hat ein bestimmtes Maß von Kenntnissen in jedem Fall erreicht;
und schließlich bei der Unioersitüt weiß man auch genau, was sie in
jedem ihrer einzelnen Fächer gibt, was das Ziel ist. Was ist aber ein
Konservatorist? Was beweist das Zeugnis, das er zuleht bekommt? —
Man weiche nicht aus und sage: „Ja, das geht eben in der Kunft
nicht, wie bei der Wissenschaft; hier ist Freiheit, hier ist Leben." Es
ginge schon, weun man nur wüßte, was man wollte. Unsere Kon-
servatorien kranken daran, daß sie Elementar-, hvhere und Hochschulen
zugleich sein wollen, natürlich mit der Freiheit und dem Größenstolz der
letzteren uud mit der Uufähigkeit, die sich aus solcher Vermengung und
Planlosigkeit ergibt. Jeder Konservatorist glaubt die Unsterblichkeit in
seiner Notenrolle zu tragen. Und wie treiben nun diese jungen Götter
ihre Arbeit? Jch rede nicht von denen, die's auch gibt, die bummeln
und verkommen; das sind Wenige. Jm allgemeinen kann man sagen,
daß nirgends im Durchschnitt so viel gearbeitet wird, wie bei Konserva-
toristen, -— aber auch selten so töricht. Technische Dressur und An-
eignung der dürftigstcn theoretischen Kenntnisse, das ist hicr nicht nur
das Erste, sondern oft das Einzige. Von dcn Pflichten ihres zukünftigen
Künstlerberufs, überhaupt von dem Jnner lich en, um das es sich bei
aller Kunst handelt, spürt man nichts. Hier lasse ich mir den Einwand
gefallen, daß zuvörderst aber doch auch in dcr Kunst das Handwerks-
mäßige zu erlernen sei, ohne das es nun einmal nicht abgeht. Gut,
aber das betreibe man nicht auf Anstalten, die angeblich den Künstler
reif ins Leben entlassen wollen. Dazu richte man Musikmittelschulen
ein, die auf eine letzte Hochschule vorbereiten. Uud außerdem meine ich,
durch eine solche oft jahrelang ausgedehnte mechanische Dressur tütet
man das Beste, verschließt man Zugünge zu den Regionen der eigent-
lichen Kunst, die später nie wieder zu öffnen sind. Jch mvchte noch

Alnstwart


 
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