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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,1.1900-1901

DOI issue:
Heft 9 (1. Februarheft 1901)
DOI article:
Avenarius, Ferdinand: Zu Böcklins Heimgang
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.7961#0421

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Nymphen und Tritonen, seine Satyren und Kentauren samt ihrer
umgebenden Welt steigen wie aus den versunkenen Zeiten des Schöpfungs-
morgens zu uns herauf. Zwischcn all das beengende Erworbene unsrer
Kultur weht es dann wie ein Frühhauch aus unsres Geschlechtes
Jugend. Man hat einmal die Weltanschauung echter Lyrik tiefsinnig
eine paläontologische Weltanschauung genannt — ganz Aehnlichcs wirkt
aus Böcklin.

Aber diese wunderbare Phantasie tritt nun auch in den Dienst aller
Stimmungen eines bedeutenden Mcnschen unsrer Zeit. Der vertraute
Jünger Homers, der Bewnnderer Shakesperes, der glühende Verehrer
Goethes, der Freund Gottfried Kellers, der immer rege Beobachter von
allem, was war und ward, der Mann, der das Leben in Frohsinn wie
in Weh auf das Junerlichste genoß, sodaß er von Scherz durch Tragik
zum großen Humore wuchs — dort, wo er am stärksten war, lebte er
doch in völliger Einsamkeit. Denn wo seine Phantasie horstete, dahin
schwang sich kein anderer Fittich mit. So zeigt das Wie Böcklinscher Kunst
keinerlei wesentliche Einflüsse seines geistigen Verkehrs; für sein Schaffen
sind die Vermittler seelischer Güter durchaus nur eben Vermittler, die
wegtreten, sobald sie ihn mit jenen Gütern in Verbindung gcsetzt haben.
Man sehe seine religiösen Bilder an: die Vorstellung selbst und er,
Böcklin, — alle Ueberlieferung versinkt dazwischen. Oder Schöpfungen
wie seinen Prometheus — wo zeigte er noch eine Spur seines litera-
rischen oder künstlerischen Hcrkommens? Oder seine „Flora", odcr seiu
„Schiveigen im Waldc", oder was immer wir nennen mögen — die
Anschauung von all dem eignet ganz allein ihm. Jn dieser erhabcnen
Einsamkeit ward er zum Seher, zum Entdeckcr, zum Eroberer. Für
das, was die ahnten, die am nächsten hinter ihm schritten, dichtcte er
mit scinen Farben das „erlösende Wort". Das deutsche Volk ist in
seinem Verhültnis nicht allein zur Gotteswelt dort draußen, sondern
auch zu der in scincm Jnnern durch Arnold Böcklin wie kaum noch durch
fünf, sechs der allergrößten Künstler seiner Geschichtc beschcnkt worden.

Man hat gesagt, geradc dcr Naturalismus habe dem Verständnisse
Böcklins dic Wcge gcbahnt. Auch ich glaube, das ist wahr. Jn einer
Zeit, deren Bilderlust im Anekdotenfinden und sonst in äußerlich stoff-
lichem Jnteresse aufging, war der Naturalismus notwendig auch für
das Volk, denn er erzog es dazu, die Bildcr wiedcr mit dem Auge
anzusehn auf das, was sich allein durchs Auge sagen ließ, nicht ebenso-
gut durch ein Gcschichtchcn. Kennzeichnet es doch jede echte Kunst, daß
sie ausdrückt, was sich allein mit ihren Mitteln ausdrücken läßt, daß
also sie nicmals Surrogat wird. Die Blicke, die sich am Naturalismus
im Sehen übtcn, lernten allgemeiner den Gebrauch malerischer Aus-
drucksmittel verstehcu, und so sahcn mehrere und mehrere auch bei
Bücklin nicht nur noch einmal „die" (nämlich die längstbekannten) „Fabel-
wesen", sondern allmählich auch, was man vergleichcnd musikalische und
poctische Wirkungcn uanntc. Einmal begriffen, ward aber Böcklin selber
zum Führcr: zum Führer nicht gegcn dcn Naturalismus, aber über dcn
Naturalismus hinaus. Nicht gcgen den Naturalismus, dcn wcrdcn wir
immer brauchen, dcnn nur cr arbeitet mit wirklich ernsten Studien
vor. Abcr über ihn hinaus, denn crst die Ausbildung dieser Studien

t. Februarheft :90 t
 
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