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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,1.1900-1901

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Heft 10 (2. Februarheft 1901)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7961#0485

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und Bänder und Hütc.in die Luft, und jauchzende Grüße hallten herüber,
hinüber. Und iu Luft und Wasser wiescn sie einander iunner neue Erinncrungen
und Frcuden.

,Schau doch — da, das Licht — roeißt du noch? — als rvir am Abcnd
spieltcn »Fli-Fla-Fledcrmaus«I"

Und aus einem Augcnblick der Stille stieg singend eine keusche, licbliche
Stimme empor, und alsbald sang unscr ganzes Schiff, und stieg von allen
Schiffcn cmpor dersclbe mächtige Gesang.

Und ich blicktc zur Seite und sah ganz in der Ferne, wie durch cincn
fcinen Nebel, mcincn Lvwcntötcr sitzen. Aus scinen Augcn drang ein Blick zu
mir, wie er noch nie aus dicscn Augcn hervorgekommen war, cin ganz ncuer
Blick, der mußte auf dem dunkclstcn Grundc sciner Seclc verstcckt gewesen sein.
Es war cin stauncndcr, ahncnder, cin sast schon begreifendcr Blick.

Und ich wandte noch wcitcr den Kopf und sah ganz in der Ferne, wie
durch eincn fcinen Nebcl, dcn schweigsamcn Klavierspicler; der lächelte —
wahrhaftigl — er lächcltc hcll übcr das ganze Gesicht! Also dochl Also
konntc cr d o ch lächeln!

Das drängte mir das Herz gcwaltig gcgcn die Rippen, und es war
mir, als ob dic Gewalt meines Herzcns das Schiff vorwärts drängte auf
seincr Bahn.

Da mündcte dcr Strom ins Mccr, und unserc Schiffe fuhren hinein
untcr brausendcm Gcsang.

Freude, schvner Götterfunkcn,

Tochter aus Elysium,

Wir bctrcten fcucrtrunken,

Himmlische, dein Heiligtum!

Und das punktierte tin in dcm Wortc Elysium hallte mit cincr schwelgcnden,
heilig-überzeugtcn, tinnkcncn Bcgcistcrung übcr das Meer.

Dcnn die Mcuschcn crkcmnten nun, daß all' ihre Freude aus Elysium
gekommen war.

Sie crkanntcn die große, sclige Einhcit allcr Freude.

Die spärlichen Freudcn, dic in ihr Lcbcn gesallen waren wie seltene,
winzige Sonncnbildcr durch cin dichtes Gesträuch: hicr flosscn sic mit Myriadcn
ncuer Frcudcn zusammen zu cinem großen Glanz.

Und da wir uoch schwicgen im Anschaucn dcr blendenden Fülle, da
wuchsen unscrcn Schissen Flügcl, und wir crhobcn uns in das leichtere Mecr
der Lust. Die breiten Schwingen dcr Schiffe stiichm langsam wic Ruder dnrch
dic slillc Flut, und auf dcn Schwingcn lag Sternenlicht.

Wir sahcn hinab aus dcn ganzcn Erdkrcis. Unser Augc vcrmochte allcs
zuglcich zu schcn, unscr Ohr allcs zugleich zu hören, lautc Klänge und lcise.
Unscr Gcist kroch nicht mchr blind tastcnd von Secle zu Secle, von Jahrzchnt
zu Iahrzchnt; cr sah, wie dic Mcnschhcil gewordcn von Anbcginn.

Aus dcm bcwußten Mcnschcn war die bewußtc Mensch-
heit geivorden.

Nicht maß dcr Mcnsch mchr mir mürrischem, zweifelndem Maulwursöblick
den lleinlichen Fortschriit von Tag zu Tag, von Stundc zu Stunde. Der Gcist
der Menschhcit umsaßtc mit c i n c m Blickc die Harmoniccnrcihen dcr Mcnschcn-
welt vom Anfang hcr.

Jm Bcwußtscin dcs Mcnschcn war von Morgcn zu Morgcn nicht mehr
als cin Tag gcwcscn.

2. Februarheft tyol
 
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