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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,1.1900-1901

DOI issue:
Heft 11 (1. Märzheft 1901)
DOI article:
Göhler, Georg: Musikalische Erziehung, [3]
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.7961#0506

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werden. Wo sind denn überhaupt unsere jetzigen Dirigenten erzogen,
wo hat die dritte Klasse, die der „Göttlichen" ihre Zauberkünste ge-
lernt? Dirigentenschulen brauchen wir nicht, und Dirigent werden wollen
ist ein Unsinn; entweder man ist's oder man wird's nie. Zu lernen
braucht man nur recht viel und recht gründlich alles, was zur Musik
und ihrer Geschichte gehört. Die einen werden vom Orchester ihren
Ausgang nehmen, die anderen vom Chor. So war's, so wird's bleiben.

Aber die Virtuosen! Wo nimmt man die her? Nahm man sie
etwa bisher aus den Konservatorien? Sind nicht die meisten von ihnen
Privatschüler großer Vorgänger? Und wie viel brauchen wir Virtuosen?'
Ein halb Dutzend, für manche Jnstrumente noch weniger. Und derent-
wegen sollen wir unseren Gesamtunterricht auf den Drill der Technik
zustutzen? Derentwegen eine besondere Gattung Schulen bauen? Wenn
man nur nicht immer vergessen wollte, daß das Leben die wirklich-
Großen ganz von selbst heraushebt, daß für diese der Unterricht ganz
nebensächlich, ja oft hinderlich ist. Oder gibt's bei uns Schulen, in die
man mit zwölf Jahren eintritt, weil man ein berühmter Chirurg oder
Archäolog werden will? Erst lernt man was ordentliches als simpler
Mediziner auf derselben Bank wie irgend einer, der mal als Dorfarzt
sich durchs Leben hilft; zur Kapazität wird man, ohne „darauf zu
studieren". 's ist nürrisch, daß man solche platte pädagogische Wahrheiten
ernsthaft predigen muß. Aber in der Musik ist's seit etwa fünfzig Jahren
dank der Konservatoriumsgründerei so konfus geworden, daß die meisten
nicht mehr eine Gans von einer Schnecke unterscheiden künnen.

Aber die Komponisten?! Was wird aus unserer reichen
Musikliteratur, wenn man keine Komponisten mehr heranbildet? Es-
wird sich Gelegenheit finden, einmal eingehender darüber zu reden, daß
der Niedergang des künstlerischen Wesens in der Musik vor allen Dingen
der Ueberproduktion zu danken ist, an der wieder die törichten Kompo-
sitionsstunden unserer Konservatorien Schuld sind. Um die Zukunft
künstlerischen Schaffens in der Musik zu sichern, brauchen wir bloß
unsere Konservatorien, statt sie zu hüten, eingehen zu lassen. Oder ist
in irgend einer Periode deutscher Musik einc so unüüersehbare Mcnge
von schlechter Musik produziert worden, wie in der zweiten Hälfte des-
jy. Jahrhunderts, welche die zweifelhafte Ehre hat, den Typus dcs
Konservatoristen und — des Konservatoriumsprofessors zur höchsten
Vollkommenheit ausgebildet zu haben? Wir brauchen keine Kom-
ponistenschulen.

Aber Sängerschulen? Ja... oder wenigstens: vielleicht, — dann
aber auf jeden Fall getrennt von den Anstalten zur Ausbildung sür
den Musiklehrer- und Orchesterspielerberuf. Jch bin jedoch sogar der
Ueberzeugung, daß man etwas so Jndioiduelles wie die Ausbildung der
menschlichen Stimme möglicherweise am Besten dem Einzelunterricht
überläßt und nur zur Ausbildung für die Bühne Theaterschulen cin-
richtet, an denen aber kein Gesangunterricht erteilt wird, die vielmehr
nur Uebungsstätten zur praktischen Vorbildung sind. Jedenfalls ist nichts
türichter, als in unseren Konservatorien den Schwindel dcr Vorbildung
für die Oper noch weiter führcn zu wollen. Man erhält dadurch An-
stalten von einer Verworrenheit der Lehrzicle, die auch dcr beste Wille
Kunftwart

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