schichte der Oper seir dem Tode dcs Bayreuther Meisters schreiben
wollte. Aber ich glaube nicht nur, daß er die Anfänge selbständiger
Regungen seither denn doch zu spät ansetzt, sondern auch, daß der Ver-
lauf der Entwickelung sich wesentlich anders gestaltet hat, als er ihn dar-
legt. Um dies zu begründen, sei mir erlaubt, das Bild dieser
Verhältnisse, wic es sich in meinem Kopfe malt, in kurzen Zügen
zu entwerfen.
Die Geschichte einer Kunst ist die Geschichte ihrer Jdeale. Jn den
achtziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts hat es nun dreierlei
Opernideale gegeben: die „alte Oper", das deutsche „Musikdrama", die
romanische „Wirklichkeitsoper". Die alte Oper galt schon damals der
Mehrheit als ein überwundener Standpunkt, sie zählte aber noch immer
zahlreiche Anhänger, besonders in der älteren Generation, die immer
noch hoffte, es werde die neue Richtung als bloße Mode vorübergehen,
es werde die alte Oper wiederkehren und mit ihr die Zeit der Arien,
der Ensembles, Duette und Terzette, die Zeit des da Capo und der
Melodien, die so angenehm zu hören und so leicht zu merken waren.
Aber die Schar derer, die diesem Geschmacke anhingen, schmolz wie
Schnee an der feurigen Begeisterung für Wagner: die alte Oper blieb
tot, wir können uns an den genialen Werken ihrer Meister noch erfreuen,
aber nicht, weil sie in der alten Form geschrieben, sondern weil sie
genial sind. Der neue Wein der neuen Zeit bedurfte auch neuer Schläuche.
Das neue Jdeal, vor dem das alte zurücktreten mußte, war das
Jdeal Richard Wagners. Das Drama, die Dichtung war ehedem nicht
so sehr das Ziel des Künstlers als der Vorwand gewesen, eine Anzahl
mannigfaltiger Tonstücke aneinanderzureihen. Jetzt wurde das Drama
zur Hauptsache, die Musik hatte nur den Zweck, seinen Eindruck zu
verstärken. Beide Richtungen aber hatten es ausdrücklich auf die Schön-
heit abgesehen, nur daß die alte Oper die Schönheit bloß im Gesälligen
erblicken wollte, die Wagnerische hingegen das Charakteristische als schön
hinzustellen suchte. Die alte Oper wollte ihr Publikum unterhalten und
mühelos genießen lassen; das Musikdrama mutete ihm eine gcistige
Anspannung zu, um es zu erheben. Allein die Schöpsungen der
Schüler dcs Meisters vermochten es zu keinem echten Erfolge zu bringen,
einerseits, wcil zu wenig Eigenart in ihnen stak, anderseits weil die
Mitwelt mit den Tondramcn des Niesengeistes Wagner genug beschäftigt
war und gar keine Aufnahmekraft mehr hatte für die Werke der geringeren
Grüßen. Nur um einen dieser Epigonen ist es wirklich schade, ich meine,
um Alexander Ritter. Ein Wort seines Meisters bei einem Tisch-
gespräche war zündend in seine Seele gefallen; man sollc sich ohne die
nötige Kraft nicht an die grandioscn Mythen wagen, sondern die kleineren
Formcn der Sage, dcs Märchens, der Lcgende pslegen. Dieser Mahnung
gctreu dichtete und komponierte denn Nitter zivei prüchtige altdcutsche
Müren, „Der faule Hans^ und „Wem die Krone?", die ersten nach-
wagnerschen Opcrn, die sich aus einer wirklich dichtcrischen Grundlage
aufbauten. Allein Nitters Talent war mchr zart als stark, mehr sinnig
als sinnlich, mehr warmhcrzig als hinreißend, und bcvor er sich zur
Geltung durchringen konnte, hatten neuc Strömungen ihn beiseitc gespült.
Es war ihm nur vergönnt, einen Krcis junger Münchner Künstler viel-
fältig anzurcgen, darunter seinen vertramesten Schülcr, Richard Strauß;
2. Märzheft tIOt
wollte. Aber ich glaube nicht nur, daß er die Anfänge selbständiger
Regungen seither denn doch zu spät ansetzt, sondern auch, daß der Ver-
lauf der Entwickelung sich wesentlich anders gestaltet hat, als er ihn dar-
legt. Um dies zu begründen, sei mir erlaubt, das Bild dieser
Verhältnisse, wic es sich in meinem Kopfe malt, in kurzen Zügen
zu entwerfen.
Die Geschichte einer Kunst ist die Geschichte ihrer Jdeale. Jn den
achtziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts hat es nun dreierlei
Opernideale gegeben: die „alte Oper", das deutsche „Musikdrama", die
romanische „Wirklichkeitsoper". Die alte Oper galt schon damals der
Mehrheit als ein überwundener Standpunkt, sie zählte aber noch immer
zahlreiche Anhänger, besonders in der älteren Generation, die immer
noch hoffte, es werde die neue Richtung als bloße Mode vorübergehen,
es werde die alte Oper wiederkehren und mit ihr die Zeit der Arien,
der Ensembles, Duette und Terzette, die Zeit des da Capo und der
Melodien, die so angenehm zu hören und so leicht zu merken waren.
Aber die Schar derer, die diesem Geschmacke anhingen, schmolz wie
Schnee an der feurigen Begeisterung für Wagner: die alte Oper blieb
tot, wir können uns an den genialen Werken ihrer Meister noch erfreuen,
aber nicht, weil sie in der alten Form geschrieben, sondern weil sie
genial sind. Der neue Wein der neuen Zeit bedurfte auch neuer Schläuche.
Das neue Jdeal, vor dem das alte zurücktreten mußte, war das
Jdeal Richard Wagners. Das Drama, die Dichtung war ehedem nicht
so sehr das Ziel des Künstlers als der Vorwand gewesen, eine Anzahl
mannigfaltiger Tonstücke aneinanderzureihen. Jetzt wurde das Drama
zur Hauptsache, die Musik hatte nur den Zweck, seinen Eindruck zu
verstärken. Beide Richtungen aber hatten es ausdrücklich auf die Schön-
heit abgesehen, nur daß die alte Oper die Schönheit bloß im Gesälligen
erblicken wollte, die Wagnerische hingegen das Charakteristische als schön
hinzustellen suchte. Die alte Oper wollte ihr Publikum unterhalten und
mühelos genießen lassen; das Musikdrama mutete ihm eine gcistige
Anspannung zu, um es zu erheben. Allein die Schöpsungen der
Schüler dcs Meisters vermochten es zu keinem echten Erfolge zu bringen,
einerseits, wcil zu wenig Eigenart in ihnen stak, anderseits weil die
Mitwelt mit den Tondramcn des Niesengeistes Wagner genug beschäftigt
war und gar keine Aufnahmekraft mehr hatte für die Werke der geringeren
Grüßen. Nur um einen dieser Epigonen ist es wirklich schade, ich meine,
um Alexander Ritter. Ein Wort seines Meisters bei einem Tisch-
gespräche war zündend in seine Seele gefallen; man sollc sich ohne die
nötige Kraft nicht an die grandioscn Mythen wagen, sondern die kleineren
Formcn der Sage, dcs Märchens, der Lcgende pslegen. Dieser Mahnung
gctreu dichtete und komponierte denn Nitter zivei prüchtige altdcutsche
Müren, „Der faule Hans^ und „Wem die Krone?", die ersten nach-
wagnerschen Opcrn, die sich aus einer wirklich dichtcrischen Grundlage
aufbauten. Allein Nitters Talent war mchr zart als stark, mehr sinnig
als sinnlich, mehr warmhcrzig als hinreißend, und bcvor er sich zur
Geltung durchringen konnte, hatten neuc Strömungen ihn beiseitc gespült.
Es war ihm nur vergönnt, einen Krcis junger Münchner Künstler viel-
fältig anzurcgen, darunter seinen vertramesten Schülcr, Richard Strauß;
2. Märzheft tIOt