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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1902)
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Schultze-Naumburg, Paul: Die Ausstellung "Neue Frauentracht" in Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0105

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zum Glaubcnsbekenntnis mache, nicht übereinstimme, während für uns
die Gestaltung des Kleides ohne Korset das eigentliche Ziel der Aus-
stellung bedeutet.

Als leitende Gedanken der Ausstellung wurden die Grundsätze
angenommen, die in meinem Buche niedergelegt sind, wir sormten sie
in kurzer Fassung für unsre Einladungen so:

s. Es dars keinerlei Art von Korset oder „Resvrmkorset" verwendet
werden.

2. Das Kleid soll nur von den Schultern getragen werden.

3. Die Kleider dürfen nicht aus Rock und Bluse der alten Form
bestehen. Neue Gestaltungen der Bluse, welche die Stelle der bisherigen
Taille durch keinen Bund markieren, sind wünschenswert.

Sind Büstenhalter oder weiche, lose Leibchen beim Tragen des
Kleides vorgesehen, so dürsen es nur solche sein, die von den Schultern
aus getragen werden, nicht solche, die auf oder unter dem Rippenkorbe
oder auf den Hüften ihren Halt finden.

Um eine ungefähre Vorftellung von dem zu geben, was wir her-
vorzurufen wünschten, setze ich noch die folgenden Sätze aus unserm Pro-
gramm her:

„Unter der Voraussetzung, daß diesen hygienischen Bedingungen
Genüge geleistet und daß die technische Ausführung tadellos ist, ent-
scheidet die Jury nach der ästhetischen Vollendung der Werke.

Die Ausstellung soll durchaus nicht allein Gesellschaftskleider
bringen, fondern es sind gerade praktische und brauchbare Haus- und
Straßenkleider fehr willkommen. Es liegt im Sinne der Ausstellung,
zu erweifen, daß die hygienisch Ladellofe Kleidung fich für alle Zwecke
mannigfaltig und fchön gestalten läßt. Doch sei ausdrücklich bemerkt,
daß nicht zu Extravaganzen angeregt werden soll."

Aus diesen kurzen Andeutungen wird man ungefähr zu erkennen
vermögen, was wir von der Ausstellung erwarteten. Sie ist fetzt er-
öffnet worden, und so ist dem Publikum Gelegenheit gegeben, zu sehen,
ob wir unserm Programm nachzukommen imstande waren. Meine
eigene Meinung ist folgende. Es sind gute Kleider genug da, um einen
Ueberblick über die Möglichkeiten der Gestaltung zu geben und damit
Jedem, der sich nun damit befaßt, feine Aufgabe wesentlich zu erleichtern.
Um eine Grundlage für eine Tracht, wie wir fie brauchen, zu finden,
find ja nicht hundert Formen nötig, fondern es genügt, wenn fich eine
ganz beschränkte Anzahl von Grundtypen bildet. Diese abzuwandeln,
ist die spütere und leichtere Aufgabe. Wenn wir trotzdem gegen hundert
Kleidungen aufgenommen haben, fo geschah es, um nichts der Oeffent-
lichkeit zu entziehen, was irgend zum weiteren Ausbau dienen könnte.
Prüft man daraufhin unsere Ausstellung, so kann man sicher feine
Freude an manchem guten neuen Einfall haben. Setzt man freilich
fein Vergnügen darein, die kleinen Entgleisungen auf dem Gebiete des
Gefchmacks oder die Unvollkommenheiten der technischen Ausführung
nachzurechnen, die nicht zu leugnen sind, so werden wir das ertragen
müssen. Wer unserer Bewegung wohl will, wird einen fruchtbareren
Standpunkt zur Beurteilung finden. Einige Kleider wenigstens find
da, die man nach meiner Meinung als wirklich vollkommene Lösungen
der neuen Aufgaben bezeichnen kann. Und das ist schon viel.

2. Gktoberheft zZ02

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