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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1902)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0144

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so mühsam und genau, doch eine Nach-
ahmung, ein kaltes Modell solcher
Teile, die modslliert werden können,
mit mutmaßlichen Ergänzungen.

Laßt uns lieber gar nicht von
Wiederherstellung reden. Die Sache
ist eine Lüge von Ansang bis zu Ende.
Jhr könnt Las Modell von einem Ge-
bäude machen, wie von einem Leich-
nam; das Abbild mag die Schale Ler
alten Mauern umschließen, wie Ler
Abguß das Skelett enthalten mag, zu
welchem Nutzen ist mir unersindlich;
aber der alte Bau ist jedenfalls zer-
stört, vollständiger und erbarmungs-
loser, als ob er in Trümmer gesunken
und in einen Lehmhügel verwandelt
wäre. Meine Erfahrung hat mir nur
ein einziges Beispiel geliefert, das des
Justizpalaftes in Rouen, wo der
äußerste Grad der Treue erreicht oder
überhaupt versucht worden ift.

Aber, sagt man, es mag eine Not-
wendigkeit zum Wiederaufbau ein-
treten. Zugegeben. Seht dieser Not-
wendigkeit frei ins Antlitz und begreift
ihre Mahnung. Es ist dis Notwendig-
keit der Zerftörung! Nehmt fie hin,
reißt das Gebäude nieder, werft die
Steine in einen Haufen Zusammen,
macht Ballast aus ihnen, oder Mörtel;
aber tut das ehrlich und setzt keine
Lüge an ihre Stelle. Blickt dieser
drohenden Zerstörung ins Gesrcht, be-
vor sie hsrannaht, und ihr könnt sie
lange aufhalten und verhindern. Küm-
mert euch um eure Denkmäler, und
ihr werdet nicht nötig haben, sie wie-
der herzustellen. Einige Bleiplatten
bei Zeiten aus ein Dach gelegt, ein
paar tote Blätter und Zweige recht-
zeitig aus einem Abflußrohr entfernt,
werden sowohl Dach wie Mauer vom
Verderben retten. Bewacht ein altes
Vauwerk mit ängstlicher Sorgfalt;
zählt seine Steine wie die Edelsteine
einer Krone, stellt Wachen rings herum
auf, wis an den Toren einer bela-
gerten Stadt; bindet es Zusammen mit
Eisenklammern, wo es sich löst; stützt
es mit Balken, wo es sich neigt.
Kümmert euch nicht so sehr um die

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Unansehnlichkeit solcher Stützen: besser
eine Krücke als ein verlorenes Glied.
Thut dies alles zärtlich und ehrfurchts-
voll und unermüdlich, und noch manches
Geschlecht wird unter seinem Schatten
erstehen, leben und wieder vergehen.
Sein letzter Tag muß einmal kommen;
aber laßt ihn offen und unzweifelhaft
sein, und laßt keine Entwürdigung
und falsche Herstellung ihn noch der
letzten Totenehren berauben, die Er-
innerung ihm erweist l . . .

Es handelt sich nicht allein um Ge-
fühl oder Zwecküienlichkeit bei Ler
Frage, ob wir die alten Gebäude re-
staurieren sollen oder nicht. Wir
haben gar kein Recht, sie anzu-
rühren. Sie gehören uns nicht. Die
Toten haben noch ihr Recht an sie:
sie gehören denen, die sie erbauten,
und allen Menfchengeschlechtern, die
nach ihnen und nach uns kommen
werden."

VsrmrsckieZ.

G Dürerbund.

Geldsendungen sowohl wie An-
meldungen für den Dürerbund gehen
immer noch irrtümlicher Weise an
Avenarius nach Dresden-Blasewitz.
Man bittet dringsnd, alle derartigen
Einfendungen und Mitteilungen an
unsern Schatzmeister Georg D. W.
Callwey in München zu richten. Nur
Vereiue, die als solche beizutreten
wünschen, wollen sich an Avenarius
wenden.

G Zur Drahtkultur. s.

Es wird zu einem Denkmal sür
Schleiermacher gefammelt, den
Treitschke den größten aller unserer
Theologen seit dem Jahrhundert der
Reformation genannt und der selbst
Heine ehrerbietige Worte abgenötigt
hat. Wir unsrerseits wollen nicht ver-
gessen, üaß er als erster auf die star-
ken Fäden zwischen Religion und
Kunst hinwies, wie er denn gelegent-
lich geradezu die Religion als Sinn
und Geschmack für das Ewige desinierte.

Ein Denkmal also verdient der
Mann schon längst; das ist gar keine
Frage. Was für eines soll er haben?

Runstwart
 
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