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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 3 (1. Novemberheft)
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Grunsky, Karl: Ueber Geselligkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0163

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und herzhaft offenen Benehmens. Aber die Höflichkeit follte eigentlich
die Sonne fein, die den Kreislauf menschlicher Mitteilung lenkt, die aus
der Nacht der Einsamkeit das Licht der Verständigung, den Tag der
Gemeinfchaft heraufführt. Gerade wer Licht und Dunkel spannkräftig
auseinanderhält, rnuß sich ja vom einen zum andern mächtig fehnen.
Natürlich ist es nicht, daß wir, auch wenn uns die Ruhe gestärkt hat,
noch in der Einsamkeit verharren wollen und den Verkehr verabscheuen.
Liegt hier nicht irgendwo ein wunder Punkt? Muß hier nicht etwas
faul sein an unserm Verkehr? Jch glaube, das wird es sein: wir sind
noch zu weit davon entfernt, aus seelischen Bedürfnissen heraus
die Formen unsres gefelligen Umgangs zu gestalten. Wir denken über
dieses Grundproblem der Geselligkeit überhaupt wenig nach, und so hat es mit
der Durchführung einer vernünftigen Uebereinkunft erst recht noch guteWeile.

Es gibt eine Kunst der Mitteilung, es gibt Mittel, sich gemeinsam
oder heimisch zu fühlen, in allen Lagen des Menschenlebens. Erschöpfend
könnte all diese Fälle ja nur ein Buch besprechen. Aus dem Knäuel
der Möglichkeiten aber soll hier zunächst einmal der Faden gelöst wer-
den, der durch die engere Geselligkeit hindurchläuft. Alles Oeffentliche
im hochpolizeilichen Sinn, Straßenoerkehr, Theater, Eisenbahn, Konzert
und Volksversammlung, und alle Gelegenheiten, welche die Menschen
kreuzweise durcheinanderschieben, bleiben vorderhand unberührt. Ebenso,
was zu den ernsten oder festlichen Vorkommnifsen des Privatlebens ge-
rcchnet werden kann.

Unsre Gesellschaften also leiden vor allem daran, daß man in ihnen
über zu wenige Stoffe reden darf. Standeshochmut, Kastengeist machen
von vornherein gewisse Gespräche unmöglich. Es fällt mir immer Lud-
wigs des Vierzehnten ote^-moi oes iwnAots 111 ein, wenn ich sehe, wie
ängstlich z. B. Politik und Religion gemieden werden. Der prachtliebende
König, der sich von den niederländischen Bildern derber Wirklichkeit ab-
gestoßen fühlt, und die oberflächliche Gesellschaft, die weder dem all-
gemeinen Leben noch den Kernfragen der Persönlichkeit Teilnahme er-
übrigen kann, sie sind einander wirklich wert. Und in der Tat dürste
sich manch zopfige Gewohnheit im Verkehr der oberen Stände auf das
Zeitalter jenes Königs zurückführen lassen. Jst die Unterhaltung in
ihren Gegenständen zu beschränkt — von den Ausnahmen des Taktes
wird vielleicht später einmal die Rede sein — so kann ein kräftiges,
munteres Leben gar nicht aufkommen. Borsichtig und mißtrauifch wer-
den die Gedankenwege ausgeprobt, auf denen man sich vielleicht be-
gegnen könnte, und jeder Drang zu lustigen Zusammenstößen fehlt.

Leider gerüt man so zumeist in das Gebiet der Klatschrosen. Sie
pflückt man bekanntlich ohne Scham, oft ohne Gefühl dafür, wie pein-
lich es immer sein sollte, wenn etwa sofort nach Weggang einer Person
ihre Verhältnisse, Unarten, Vorzüge erörtert werden. Jst es wahr, daß
in London die gute Gesellschaft den Klatsch wirklich verpönt hat, so sind
die Engländer hierdurch den Deutfchen ein gutes Stück voran, denn wie
überlegen wir vom Klatschen reden, wir sind auch in bester Gesellschaft
keineswcgs mit Sicherheit drüber hinaus. Strenggenommen sollte es
schon als unschicklich gelten, über Dritte zu „plaudernZ über Dritte
anders als in ernsthafter Weise zu verhandeln, und nie, wenn solch
ein Verhandeln nicht sachlich geboten ist. Der Unverschämtheit im Durch-

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