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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1902)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0404

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erster Versuch, mangelhafter noch, als er hier, wo so vieles fließt, roerdea
mußte, also mangelhafter noch, als er bei rveiteren Auflagen bleiben muß.

Das andere Ziel aber verlangte einen andern Weg, als die von den
Sammlern meistbegangenen. War die Aufgabe nicht, die verschiedenen Lyriker
zu „vertreten", zu „kennzeichnen", so fiel die Verpflichtung weg, Verse deshalb
auszunehmen, weil sie vielleicht dies oder jenes literargeschichtliche Jnteresse
bieten oder beanspruchen. Es war nicht nötig,minder begabter Männer wegen den
Großen das Wort zu beschneiden; auch von den Neueren konntcn z. B. Möriks,
Keller, Hebbel endlich einmal so zu Gehör kommen, wie ihnen gebührt und
uns not tut. Die große Sonderung nach wahr und falsch, nach geworden
und gemacht, nach ursprünglich und nachempfunden ward zur allein auslesen-
den Vorarbeit, mit anderen Worten: eben die Prüfung auf den Gehalt an
Lebenswerten hin. Langjährig geübt, antwortet auf solche Fragen das
Gefühl ziemlich fchnell, folgen muß ihm ein ehrlicher Mann auch da, wo es ab-
feit von gangbaren Werturteilen führt — dieser Teil der Arbeit also war
leicht. Das schwerste war die Ordnung des Stosses. Hier sorderte die be-
sondere Ausgabe unbedingt, die Gedichte nach ihrem Jnh alte zu ordnen, aber
nicht so,'daß ich ohne weitere Sorge hätte zusammenstellen dürfen, was etwa
Liebe oderLenz besingt. Die Stücke sollten zu Gliedern werden, organische Zyklen
sollten sich bilden, so daß die Gedichte sich gegenseitig womöglich unterstützten,
keinesfalls schmälerten. Selbstverständlich hab' ich das Erstrebte dies erste
Mal nicht schon überall erreicht. Der Grundsatz solcher Anordnung absr be-
währte sich überraschend. Er kommt überall der Vertiefung zu gute. Und die
vorbereitende und einstellende Umgebung ermöglicht die unbedenkliche Auf-
nahme selbst so „schwieriger" Gedichte, üaß ich aus Gründen der „Schwierig-
keit" schließlich kein einziges aus diesem Hausbuche auszuschließen brauchte.

Ein ähnliches Vuch, das der erzählenden Dichtung gewidmet ist, soll
diesem hier als ein weiteres Kunstwart-Unternehmen solgen.

G

Uas Geschenk.

Mir träumt', ich schluminert' unterm weidenbusch
Am Bachesufer auf der Lsimmelswiese.

Und mit dem lVasser käm' ein schöner Ulann
Im Boot dahergefahren. Längs der Fabrt
Bog er die Büsche auseinander, späbte
In das Bersteck und reichte links und rechts
Geschenke, welche er dem Boot enthob.

U)o er vorbeizog, scholl ein Dankcsschluchzen.

Und aus den wellen sang's wie Mrgelstimme:

„Rleingläubige Zweifler, habt Ihr's nicht gespürt?

Ihr mußtet leiden, daß Ihr lerntet wünschen.

Ihr mußtet wünschen, daß ich Such's gewähre.

U)as jeder im verschwiegnen Seelengrund
Lrsehnt, die Träume, die dem eigenen Herzen
Lr nicht verriet, ich habe sie gebucht.

Behmt hin, ich kenne jedes Nenschenherz!

Uehmt hin, ich kenne jeder Seele 5ehnsuchtl"

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Runstwart
 
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