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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1903)
DOI Artikel:
Batka, Richard: Das Deutsche Kunstlied, [3]: die Berliner Schule
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0524

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streben, „mehr volksmätzig als kunstmätzig zu schreiben, nämlich so. datz
auch ungeübte Liebhaber des Gesanges, sobald es ihnen nicht ganz und
gar an Stimme sehlt, solche leicht nachsingen können." „Jn dem Schein
des Bekannten liegt das ganze Geheimnis des Volkstons; nur mutz
man ihn mit dem Bekannten selbst nicht verwechseln." „Nur durch
srappante Aehnlichkeit des musikalischen mit dem poetischen Ton des
Liedes, durch eine Melodie, deren Fortschreitungen sich nie über den
Gang des Textes erhebt noch unter ihn sinkt, die wie ein Kleid dem
Körper sich der Deklamation und dem Metrum der Worte anschmiegt,
die autzerdem in sehr sangbaren Jntervallen, in einem allen Stimmen
angemessenen Umsang und in den allerleichtesten Modulationen fortflietzt
und endlich durch die höchste Vollkommenheit der Verhältnisse aller ihrer
Teile, wodurch eigentlich der Melodie diejenige Rundung gegeben wird,
die jedem Kunstwerk aus dem Gebiet des Kleinen so unentbehrlich ist,
erhält das Lied den Schein des Ungesuchten, des Kunstlosen, des Be-
kannten, mit einem Wort: dss Volkstons, wodurch es sich dem Ohr so
schnell und unaushörlich zurückkehrend einprägt. Und das ist doch der
Endzweck des Liederkomponisten, wenn er seinen einzig rechtmätzigen
Vorsatz bei dieser Kompositionsgattung, gute Liedertexte allgemein
bekannt zu machen, getreu bleiben will."

Das war ein neuer Standpunkt. Der Musiker stellt sich in den
Dienst des Poeten, die genaue Uebereinstimmung zwischen Ton und Wort
wird zum Grundsatz erhoben. Und es traf sich glücklich, datz damals
mit Bürger, Claudius, Hölty, Votz u. s. w. ein junger Liederfrühling an-
brach, dessen Vlüten durch seine Kunst „bekannt zu machen" sich lohnte.
Aber so richtige Grundsätze Schulz entwickelte und so ernst er's damit
nahm (er pslegte die Gedichte, bevor er ans Komponieren ging, sogar
auswendig zu lernen) — er war doch nur ein seiner Kopf und ein
hübsches Talent, kein wahrer Vollblutmusiker. Man sang von ihm:
„Blühe liebes Beilchen", „der Mond ist ausgegangen", „Mädel schau mir
ins Gesicht", „Des Jahres letzte Stunde", „Sagt, wo sind die Veilchen
hin", „Seht der Himmel wie heiter" u. s. s., aber diese Weisen ver-
blatzten, als aus diesem Gebiete stärkere, geniale Naturen, zumal in
Süddeutschland, austraten.

Die von Schulz eingeschlagene Richtung wurde in Norddeutschland
lange eingehalten. Bernh. Anselm Weber, Zelter und Reichardt sind
ihre Fortsetzer, und wir können ihre Merkmale noch bei C. M. von Weber,
Mendelssohn und Loewe wahrnehmen. Die unmittelbaren Nachfolger
Schulzens genossen den Vorteil, ihre Anregungen aus den Gedichten
unserer klassischen Periode schöpsen zu können. Anselm Webers „Mit dem
Pseil dem Bogen" hat sich üis heute im Schulgesang erhalten. Zelter
und Reichardt sogen aus Goethe ihre beste Kraft. Dank dem Ansehen
des Dichterfürsten, der, in den musikalischen Anschauungen der Schulzischen
Periode besangen, ihre Kompositionen seiner Gedichte gleichsam autori-
sierte, behielten sie, wenn auch wenig mehr gesungen, doch immer einen
geschichtlichen Ehrenplatz. Zelter ist der trockenere, schwersälligere von
beiden, aber sür die düstere Ballade vom „König in Thule" oder sür
die wühlende Verzweislung der Harfnerlieder hat er mit den dürftigen
Mitteln, über die er versügte, doch wohl einen Ton getroffen, der auch
uns, mit Schuberts musikalischer Ueberdichtung Gesättigte, nicht gänzlich

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