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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 8 (2. Januarheft 1903)
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Bonus, Arthur: Begeisterungsreden
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0581

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Die Situation des deutschen Begeisterungsredners ist genau die um-
gekehrte. Das, was mitzuteilen ist, weiß jedermann in der Versammlung.
Der Redner hat es hinter sich und er sucht nach Vorwänden, um trotz-
dem davon zu sprechen. Alle die Mittel, die der natürliche Redner aus
Not gebraucht, um einen Eindruck richtig übermitteln zu können, dienen
dem Begeisterungsredner zur Schmückung, zur Verkleidung, zur Mas-
kierung dessen, was mitzuteilen nicht mehr nötig ist. Man ist eben nicht
zusammengekommen, um etwas zu erfahren, sondern um es zu genießen,
zu „feiern".

Es ift gewiß vorgekommen, daß in dunklen und gefahrvollen Zeit-
läuften der ruhige und mächtige Geist eines leitenden Staatsmannes sich
so stark fühlbar machte — die Tatsache, daß trotz großer Gefahren Ver-
trauen da ist — daß als natürlichster Ausdruck der Lage und der all-
gemeinen Stimmung das Bild vom Steuermann auf dem Staatsschiff
auftauchen und empfunden werden konnte. Nun aber kommt das so
gefundene Bild in das sorgenvolle Haupt eines Kaiserredners, der feder-
kauend und begeisterungsbereit das Zimmer durchschreitet. Und alsbald
wird am hellen lichten Tage bei heiterster Sonne das Staatsschiff be-
schworen samt Stürmen, Wellen, finstrer Nacht und zum Aeußersten ent-
schlossener Besatzung. Der Kaiser, der gerade regierende natürlich, ist
nun der Steuermann geworden — ganz gleich ob die Staatsleitung
unter ihm eine sichere ist oder vielleicht auch das gerade Gegenteil da-
von. Bismarck hat das Schiff gebaut. Und nun wird fröhlich fort
allegorisiert. Sinn und Verstand sind längst nicht mehr da, sind auch
nicht nötig. Wenn nur die bedürfnislose Phantaste der Zuhörer einiger-
maßen glatte Bahn findet; und das ist dadurch gesichert, daß das Staats-
schiff ein ehrwürdiges Requisit der patriotischen Theatersprache ist.

Man vergleiche einmal zwei solche Bücher mit einander, wie De
Wets Kriegsbuch* und Nansens Nordpolfahrt. Beide stnd mit äußerster
Kunstlosigkeit geschrieben. Und doch ist ein großer Unterschied. De Wet
will nicht besser schreiben, als er kann. Er hat kein Bedürfnis nach
Schmuck. Er will aufzeichnen, was er erlebt hat; weiter nichts. Des-
halb liest man die schwerfälligen und nüchternen Befchreibungen ohne
Ermüden mit Spannung, und manchmal merkt man lange nachher,
wenn sich einem zum Beispiel das Bild von Paardeberg immer wieder
im Gedächtnis aufdrängt, wie plastisch in dieser Einfachheit manches ge-
worden ist. Nur an ganz seltenen Stellen läßt er in einem kurzen
Satz merken, daß er die Begeisterungsbedürfnisse der Europäer kennen
gelernt hat, wenn er etwa fragt: „Was sagt die Welt zu solchen
Männern?" Nansen dagegen hat „Bildung" genosfen; er will also „ge-
bildet" schreiben. Wo er seine Erlebnisse mitteilt, wirken diese Dinge
durch sich selbst; aber ich habe die nicht beneiden mögen, welche
die Sekundanerentzückungen vertragen und gar bewundern konnten,
die allemal kommen, wenn Nansen „gebildet" wird, wenn er das
Bedürfnis fühlt, den nordischen Wikinger vorzureiten oder sich ties-
sinnig und gar lieblich zu geben.

Oder — da wir bei den Buren, den Anregern dieser Betrachtungen,

^ „Der Kampf znnschen Bur und Brite" von General Chr. R. de Wet.
Kattowitz und Leipzig, C. Siwinna.


2. Ianuarbeft tyos
 
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