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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 8 (2. Januarheft 1903)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0614

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aber beharrlich. Plötzlich erhebt er
sich: „Jetzt will ich mich waschen",
sagt er unbefangen. Jch meine, der-
gleichen heißt man romanhaftes Natur-
burschentum. Dagegen einen echteren
Zug: er kommt in das hohe Gemach,
das er künftig bewohnen soll. Sammet-
stühle an den Wänden, ein Diener
wartet aus. Arnold setzt sich auf seinen
Holzkosser, der inmitten des Zimmers
steht. Aber dann geht's wieder in an-
derer Tonart. Ein Bekannter sucht
ihn auf, und fragt beiläufig, ob er
einen Roman lesen wolle. „Jn den
Romanen erbleichen die Leute zu oft,"
schmunzelt Arnold. Aus seinem ersten
Gesellschastsabend hat er kaum fünfzig
Worte finden können, und die klangen
ausgesucht wahr und grob. Am
zweiten Abend aber „scherzte er mit
Natalie, lachte, fühlte sich über seine
Nachdenklichkeit erhoben .. kurz, be-
nimmt er sich schon wie ein geborener
Kavalier. Jch dächte, es wäre gerade
die dichterische Ausgabe gewesen, an-
schaulich darzutun, wie der so ehern
Schweigsame von einem Kulturlaut
zum andern kommt. Sonst bleibt uns
eben doch derEindruck einer Kostümfigur.

Nein, durch Handlung die Cha-
raktere zu entwickeln, ist überhaupt
Wassermanns Sache nicht. Er begnügt
sich, summarisch durch analysierende
Schilderungen zu charakterisieren, sei
es den ganzen Menschen oder nur die
Stimmung. „Wolmut gehörte zu jenen
Menschen, die u.s.w."— daswiederholt
sich so oft, daß man bedenklich und
schließlich müde wird. Ein Mittel
neben anderen ist natürlich auch diese
Art, aber doch nur ein Hilfsmittel,
das sich zu den eigentlich dichterischen
verhält, wie die Hilfswissenschaften zu
einer Wissenschaft. Freilich liegt das
Beste und Klügste des Vuches immer-
hin in diesen breit ausgesponnenen
Reflexionen. Mögen sie auch zu Zeiten
recht gesucht anmuten, sie osfenbaren
doch das redlichste Bemühn des Ver-
fassers nach rückhaltloser Mitteilung

und sein Suchen nach Wahrheit. Die
direkte Rede dagegen scheut er an-
scheinend in dem richtigen Gefühle,
daß er ihrer nicht sicher ist. Seine
Menschen reden Papier, literarisch ge-
kräuselte Schnitzel, und eine Wiener
Kritik hatte nicht so unrecht, als sie ge-
rade die SchilderungderWiener Gesell-
schaft als unpersönlich und unwahr-
scheinlich ablehnte.

Gefährlich — wie Bartels Wasser-
mann einmal bezeichnet — scheint er
mir in diesem Buche nicht. Es läuft
nicht auf eine Verherrlichung der
Schwäche hinaus; es begründet diese
nur, wenn auch schief, und zeigt ihren
notwendigen Untergang. Aber die
Darstellung dieses Verlaufs ist im Ab-
strakten stecken geblieben und also nicht
eindringlich, nicht beweiskräftig. Wäre
sie dies, so könnte man eher von einer
ästhetischen Gefahr reden.

E. Kalkschmidt.

G Mörikes Briefe.

Wir lasen im letzten Kunstwarthefte,
mit welcher Freude Hugo Wolf an die
Briefe Mörikes zurückdachte. Wirwerden
ferner durch die Biographie Harry
Mayncs, der seines Dichters Briefe
fleißig zitiert, immer wieder daran
erinnert, daß hier noch ungehobene
Schätze unserer warten. Eine so be-
fchauliche Natur wie die Mörikes mu ß
ja eigentlich eine„Briefschreiber-Natur"
gewesen sein, aber zu einem Buche
gesammelt wurde bisher wohl nur der
Briefwechsel zwischen Mörike und
Schwind. Wie reich das unverösfent-
lichte Material sein muß, ersieht man
daraus, daß, nach Maync, die Briefe
Mörikes allein an seinen Jntimus
Hartlaub fünf Quartanten füllen.
Sollte es nun nicht an der Zeit sein,
eine verständigeAuswahl vorzunehmen
und wohlfeil herauszugeben? An
Teilnahme für den Dichter fehlt es
doch kaum mehr, die beiden Biogra-
phien vonFischerund vonMaync sind bis
in die Spalten der sonst gleichgültigsten
Tagespresse hinein mit einem Eifer

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Runstwart
 
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