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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 9 (1. Februarheft 1903 )
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Zum Fastnachtshefte
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0635

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Unser Volk hat so lange Jahrhunderte und unter so schweren
Verhaltnissen so viele Krast zum Frohsinn gehabt, daß es mit dem
Teusel hergehn müßte, wäre das jetzt tot reglementiert. Und auf
unsre Knnstler können wir hier sehr ruhig blicken: welches Volk
hat eine Karikatur, die an Kunstwert neben der heutigen deutschen
gleich gnt bestände? Die Franzosen haben sie nicht, die Eng-
länder nicht, keins hat sie -— wir Deutschen leben jetzt geradezu in
einer Blütezeit der humoristischen Grifselkunst. Und wo der Samen
von auswürts stammte, wie bei einigen unsrer jungen Bilderhumo-
risten in der Tat, wie hat er sich da in einem Jahrzehnt schon ver-
deutscht! Nein, unser Boden hat Aneignungs- und Angestaltungs-
kraft, und sröhliche Künstler sind auch da — es sehlt weiter nichts,
als daß wir uns weniger genieren, wenn wir lachen möchten.

Ein paar Zeitungen, die Münchner „Neuesten" an der Spitze,
haben es eingeführt, ein mal im Jahr eine Faschingsnummer zu
geben. Viele sind ihnen noch nicht gefolgt, und gar unsere seriösen
Zeitschriften sind natürlich zu würdevoll für sowas. Entwickelte sich
hier ein allgemeiner Brauch, wir unsrerseits würden ihn vergnügt
begrüßen. Er hülfe mit beim Auslüsten gegen Staub und Bazillen,
Motten und Mucken. Der Ernst soll regieren, aber der Schalk in
der Nähe stehn und sagen dürfen: „Vetter, verguckt euch nicht zu
sehr in dieses Gesicht, die Sache hat noch ein andres." „Hat sie
noch eins?" Seine Majestät Ernst blickt aus, vielleicht

findet er das nnn auch, vielleicht findet ers nicht, lacht über den
Schelm und regiert weiter wie zuvor — aber, heiter angeregt, in
besserer Laune, was immer dem Regieren zugut kommen soll. Das
Blut, das vorher, soznsagen, nur durch den Kops lies, läuft jetzt,
sozusagen, wieder durch den ganzen geistigen Mann. Jst die Ver-
fehmung des Scherzes nicht auch eine Art Naturentsremdnng?

Zl.


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