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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 9 (1. Februarheft 1903 )
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Bayersdorfer, Adolph: Adolf Oberländer
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0637

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in der Wertschätzung der Menschen verblassen und veralten, den einstigen
Reiz ihrer Mode verlieren, ohne durch nachträglich erkannte Kunst zu entschä-
digen und zu besriedigen. Daß der Holzschnitt und die Geschichte seinesWieder-
auflebens in Deutschland mit der Geschichte dieser Zeitschrist Hand in Hand
geht, ist ohnedies bekannt und soll nur nebenbei bemerkt werden. Man
weiß, daß der gemütvolle Schwind, der humoristische Spitzweg und viele
andere, rvelche das deutsche Volk nicht oergessen wird, es nicht verschmäh-
ten, ihre Kunstschöpfungen in dieser Zeitschrist niederzulegen, man weiß,
daß viele, die wir heute zu den besten zählen — es sei nur Wilhelm
Diez genannt — sich die ersten Sporen auf diesem alle Welt erheitern-
den Tummelplatz verdient haben. Und die zwei größten Vilderhumo-
risten Wilhelm Busch und Adolf Oberländer haben in ihren zahlreichen
Schöpfungen für dieses Blatt ihre Spezialität ausgebildet und in schnellem
Siegeslaufe ihre Meisterschaft erreicht. Sie sind heute die zwei besten
Unterhalter der deutschen Nation; doch sind es sehr verschiedene Naturen,
die durch sehr verschiedene Atittel wirken. Wilhelm Busch legt allen
Nachdruck in die Komik der Einfachheit, und mit Meisterschaft weiß er
eine Erscheinung aus eine bildliche Simplizität zu reduzieren, die an sich
schon das Lachen heraussordert. Seine größte Stärke aber, und das
wird wohl am wenigsten beachtet, liegt gar nicht in der großen Bild-
wirkung seiner Schöpsungen, sondern in der meisterlichen Dramatik, in
dem tressenden Nachcinander der sich zur Katastrophe steigernden Situa-
tionen, welche derartig richtig gefaßt sind, daß sie ohne jedes lähmende
Jntervall erscheinen. Dabei ist Busch noch der Dichter seiner Texte, und
eben diese, mit besonderem Sinn sür das Drollige erfundcnen Verse
tragen nicht zum wenigsten zur komischen Wirkung des Ganzen bei.
Busch ist Komiker.

Ganz anders Oberlünder. Dieser ist Humorist; er erregt mehr
stilles Vergnügen als lautes Gelächter. Zwar ist auch er kein schlechter
Dramatiker, aber seine Natur drängt ihn nicht zu dramatischen Vor-
stellungen. Er wirkt lediglich durch die bildnerischen Elemente seiner
Darstellung, und Zustand oder Hergang, Ruhe oder Bewegung sind ihm
gleich wichtige Aufgaben, die sein Humor souverän beherrscht. Seine
Kunst läßt sich als eine wirklich seherhaste Physiognomik bezeichnen,
welche in den zahllosen Spezialsällen der Erscheinung den wiederkehren-
den Typus untrüglich herausfühlt und so sicher mit der Durchschnitts-
ersahrung der Welt zusammentrisft, daß der Beschauer unwillkürlich aus-
rust: Ja, so müssen diese Menschen aussehen, welche dies gesprochen,
gedacht, oder so oder so gehandelt haben. Er beherrscht das Charakte-
ristische der Erscheinung, gibt nur dieses allein und indem er es leise
übertreibt und verdeutlicht und alle anderen vorhandenen Elemente
ignoriert, gewinnt sein Bild eine Eindringlichkeit und Ueberzeugungs-
kraft, die den Beschauer bestrickt und die keiner seiner Kunstgenossen
heute erreicht.

Seine meisterhafte Zeichnung umfaßt an einem Gegenstande alles,
was der Künstler daran zu sehen hat, und die scheinbare Mühelosigkeit
und der Reichtum seiner Produktion, die Fähigkeit, sür jederlei Gesühls-
inhalt den divinatorisch sicheren Ausdruck zu stnden, beweisen ein geni-
ales Künstlertum. Dabei bietet seine phantasievolle Komposition stets
einen merkwürdigen Aspekt, ist ganz sein individuelles Eigentum, stets

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