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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 9 (1. Februarheft 1903 )
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Bayersdorfer, Adolph: Adolf Oberländer
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0639

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schloß, nur das zu schaffen und in sich auszubilden, roozu ihn ein
innerer Drang nötigte. Er malte damals und in den folgenden Jahren
noch ziemlich viel, was er später ganz aufgab, meist Genrebilder kleinen
Formates, und in englischen Privatsammlungen mag sich heute eine
ziemliche Anzahl derselben befinden. Auf den internationalen Aus-
stellungen hatte er kein Glück. Dort verloren sich seine kleinen beschei-
denen Kunstwerkchen unter ihren ansprecherischen und großräumigen
Kollegen, und die einsichtsvolle Hängekommission pflegte sie stets so un-
vernünftig hoch zu hängen, daß sie kein Mensch sehen konnte. Ober-
länder hat selbst einmal in den „Fliegenden Blättern" geschildert, wie
man es anfangen müsse, um einen gemalten „Oberländer" zu sehen,
indem man drei handfeste Packträger einander auf die Schultern stehen
läßt und den obersten erklettert; dann befindet man sich dem gewünschten
Bilde gegenüber. Doch fand er kein Vergnügen an der Malerei. Er
fühlte, daß er mit dem Stist sich sreier, besser und vollkommener aus-
drücken könne, legte den Pinsel bei Seite und beschloß, sich den Aerger
über das widersetzliche, schlecht präparierte Farbenmaterial, über Binde-
und Trockenmittel, und was sonst alles noch zum Leidwesen der Maler
von den Farbenfabrikanten erfunden ist, sernerhin zu ersparen. Nur
einen harten Kampf hatte er noch zu bestehen, das war der mit den
Holzschneidern. Damals mußten die Zeichnungen noch direkt auf die
Holzstöcke gezeichnet werden, und was dann der Tylograph, zumal der
der alten Schule, mit herrischer Künstlerhand darauf schuf, konnte hinter-
her manchmal den Autor zur reinen Verzweiflung bringen. Lange Zeit
versah er seine Zeichnungen nicht mehr mit seinem Namen, sondern mit
cinem beliebigen Pseudonym, bis endlich das photographische Ueber-
tragungsverfahren hierin Befferung brachte und ihn mit neuer Schaffens-
freudigkeit erfüllte. Seit dieser Zeit nun haben wir die zahlreichen
meisterlichen, alle Welt mit Gaudium erfüllenden prächtigen Blätter des
Künstlers, und wenige Leser und Freunde der „Fliegenden Blätter^
mag es heute auf dem weiten Erdenrunde geben, welche am Ankunfts-
tage der Zeitung sie nicht mit der Begierde eröffnen werden, zu sehen,
ob ein „Oberländer" darin sei. Er überrascht immer, und auch im
kleinsten bleibt er selbständig und merkwürdig. Seine schnell berühmt
gewordene Folge „Der Kuß", worin er die Art hervorragender Kunst-
genossen mit einer phänomenalen Treffsicherheit persiflierte, der Vieh-
markt in Timbuktu und hundert andere sowohl Einzelblätter wie Folgen
bleiben jedem unvergeßlich, der sie einmal gesehen. Sein größtes Meister-
stück aber hat er wohl geschaffen in den Randzeichnungen aus dem Schreib-
hefte des Knaben Moritz, in denen er seine ganze Stärke der künstle-
rischen Anschauung in dem scheinbar hilflosen Stil der Kinderzeichnung
zum Ausdruck bringt. Ein genialer Schlingel, der Moritz.

Wenn wir heute auf Oberländers fünfundzwanzigjährige Tätig-
keit zurückblicken und die unerlahmte Kraft der Phantasie, welcher stets
neue humorvolle Schöpfungen entquellen, bewundern, so können wir aus
unsrer eigenen durch zwei Jahrzehnte unvermindert gebliebenen Freude
an seinem Werk den sicheren Schluß ziehen, daß er der Anerkennung auch
einer späten Nachwelt sicher sei wie wenige. Denn nur die Kunst besteht.

Adolf Bayersdorfer.

z. Februarhest t905

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