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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 9 (1. Februarheft 1903 )
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0673

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den Durchschnittsleser eher verstimmen,
obwohl sie auch ihn fesseln. Er sieht
Konflikte ohne rechten Abschlutz, und
so mutz er am Stofflichen hangen
bleiben; dieses wiederum genügt ihm
nicht, weil es sehr zart ist, und so
schüttelt er ärgerlich den Kopf. Wozu
üas Alles? Und warum? Wo ist
der Mittelpunkt? Jm „Peter Michel",
von dem unsere Leser wissen, war es
der einzelne Mensch, der „Held" im
kritischen Schulsinne, dessen Erlebnisse
Zusammenhang und Richtung in alle
Teile brachten. Hier ist etwas be-
grifslich außerhalb Stehendes üas Be-
stimmende, die Frage: wie verhalten
sich MenschenoonbestimmterBeschassen-
heit, die in ungewöhnlichen Verhält-
nissen befangen sind, zu einander, so-
bald sie durch einen äußeren Anlaß
zur Klarheit über diese Verhältnisse
genötigtwerden?KeinerdieserMenschen
beansprucht ein stärkeres Sonderinte-
resse als der andere, sie alle stehen von
der Frage gleich weit ab und beant-
worten sie nun ihrem innersten Wesen
gemätz auf das Verschiedenste; der
Kreis ösfnet sich und die Radien schietzen
nach allen Richtungenbreitauseinander.
Also ein Problemroman wie etwa die
Wahlverwandtschaften, und er verhält
sich zum Peter Michel in der Tat
wie diese zum Wilhelm Meister.

Freilich, die Voraussetzungen hat sich
Huch schon sehr beträchtlich weiter ge-
sucht, als Goethe sie gefunden hat:
Cornelie, die durchs Blut nur mit dem
Grafen verbunden ist; Felicitas, üie
zur Gräfin im selben Verhältnis steht;
und Jasmin endlich, der an Graf und
Gräfin den gleichen Anspruch hat, und
wiederum zwischen den Halbschwestern
die genaue Mitte hält — wo finden
wir im Leben diese stilisierteSymmetrie?
Sie ließe sich nahezu mathematisch
linear veranschaulichen. Bei den Wahl-
verwandschaften — ich rede einstweilen
nur von den Grundlinien der Kompo-
sition, und will keine zwecklosen Ver-
gleichungen ziehen — finden wir die

allereinfachsten Voraussetzungen unter
den vier engverbundenen Menschen,
und aus dieser Einfachheit entwickelt
sich ein difserenziertes modernes Seelen-
problem. Wird üer Ausnahmesall
Voraussetzung wie bei Friedrich Huch,
so rückt das Problem notwendig aus
der Sphüre des Romans in die der
Novelle.

Diese Novelle nun verrät eine feine
unü zugleich feste Hand. Die Kinder
sind sehr bestimmt mit ganz wenigen
Mitteln individualisiert, der Graf, die
Gräfin, Hagen klar zwischen sie
hineingestellt, die ungemein dünnen
Fäden verbinden, knüpfen und lösen
sich so natürlich, datz wir wie über die
konstruierte Grundform so auch über
den unvermuteten Tod der Felicitas
zunächst hinweglesen. Stellen sich dann
die Bedenken ein, so ist der Eindruck
ües Ganzen ungleich stürker als alle
Bedenken. Der Dichter hat seinen iro-
nischen Pessimismus, den wir aus dem
Peter Michel kennen, streng verhal-
ten und ein Jugendidyll, ein Problem
voll zartester Konflikte überaus an-
schaulich gestaltet. Alle Handlung ist
ins Innere verlegt, aber durch schlichte
Gegenständlichkeit nach autzen hin pro-
jiziert. Gelegentliche Reflexionen besorgt
meist der Graf in Selbstgesprächen, die
manchmal auchin Formbesonderer „Er-
innerungsblätter" auftreten. Jn den
Träumereien der Kinder, in den „Träu-
men der Cornelia" gibt Huch sogar eine
elegische Romantik, die neu an ihm
ist, und die, auch an andern Stellen,
an Storm gemahnt. Aber im Ganzen
erweist er sich auch hier wieder als ein
durchaus selbständiges Talent mit
vielen guten Kennzeichen üeutscher
Eigenart. S. Kalkschmidt.

G Berliner Theater.

Mit dem Seehofer halte ich's, wenn
der seinen alldeutschen Genossen zu-

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