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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 10 (2. Februarheft 1903)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0731

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Lust, daß einmal ein Wallensteiner gehenkt wurde, fragte man ihn
wie üblich, ob er noch einen letzten Wunsch habe, der ersüllt wer-
den könne.

Er besann sich nur wenig und sagte sogleich gelassen: „Ja,
ich möchte das kleine Kind meiner Tribulierwitib noch einmal auf
den Armen halten."

Die Leute verwunderten sich dieser seltsamen Bitte und wußten
nicht, was sie daraus machen sollten; die meisten aber meinten, er
wolle nur ein wenig Zeit gewinnen und noch Luft schöpfen, da doch
das Kind erst aus der Stadt mußte geholt werden. Der Obrist aber,
welcher auch zugegen war und sich das Schauspiel nicht entgehen
ließ, entschied, solch ein einfältiger Wunsch könne dem armen Sünder
nicht wohl geweigert werden, und schickte Leute, das Kindchen her-
beizuschaffen.

Als diese nun kamen, und Frau Käthe, welche zu Hause ge-
blieben war, vernahm, daß ihre Kleine dem Bösewicht unterm Galgen
sollte auf den Arm gelegt werden, schrie sie laut auf und fand des
Jammerns kein Ende, denn sie glaubte nicht anders, als er würde
aus Wut und Rache das Würmchen erdrosseln oder sonst abtun;
Besseres konnte sie sich von diesem Menschen nicht versehen.

Die Männer überwältigten sie aber, entrissen ihr das Kind
und trugen es fort, und als sie wehklagend hinterher lief bis auf
den Richtplatz, nahm man sie und hielt ihr den Mund zu, daß sie
mit ihrem Schreien die Feierlichkeit nicht stören sollte.

Loseke Muckerwitz empfing das Geschöpfchen, schaukelte es sachte
ein wenig hin und her, tippte ihm mit dem Finger auf den Hals,
und als es lachte, wischte er sich mit dem Ärmel die Augen ein
bißchen aus, küßte es leise und sagte zärtlich: Ei du mein weißes
Kaninchen!"

Wie das die Frau Käthe fah, riß sie sich mit Gewalt von den
Wächtern los, warf sich durch die Menge und fiel dem armen Sünder
weinend um den Hals, indem sie ihn auf den Mund küßte. Und
als er ihr das Kind wiedergegeben hatte, sagte fie leise: „Leb wohl,
Hans, ich bin dir doch gut!" Und ihre Augen lachten ihn durch
die Tränen heimlich an.

Da lief er mit eiuem Jauchzen felbst die Leiter hinauf, nahm die
Schlinge um den Hals und tat einen solchen Freudensprung in die
Tiefe, daß er flugs das Genick brach und aller Sorgen ledig war.

Das war des Tribuliersoldaten Loseke Muckerwitz klägliche Leideu-
schaft und seliges Ende. Es ist möglich, daß ihm im Himmel einiges
von seinen Sünden vergeben ist; und wenn er katholisch gewesen wäre,
so hätte er das Fegefeuer gespart, weil er es schon auf Erden durch-
gemacht hatte.

Der Herr Obrist von Fünfkirchen aber verliebte sich vor Rührung
über diesen Ausgang uuverzüglich in die schöne Witwe so sehr, daß
er fast seines gesamten Verstandes verlustig ging; und als er etliche
Wocheu nachher mit seinem Regimente aus Kolberg abberufen wurde,
hatte er alles Gut an sie verloren, das er hier und anderwärtig in
pommerischen Landen gestohlen hatte.

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