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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 10 (2. Februarheft 1903)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0733

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dort geiftiges Selbstleben und Handeln
nach eigenem Pflichtgefühl keine Gegen-
sähe sind, die sich nur in Sünde zu-
sammenfinden können. Sie gibt das
Leben im Diakonissenhause aus, das
trotz all der segensreichen Einrichtungen
und trotz allen guten Wollens und Tuns
darin doch zu engen llmblicks und zu
unfreien Herzens ist, gibt es auf, um
Medizin zu studieren und Frauen-
ärztin zu werden. Jn selbstgeschaffener
heiterer Pflichtersüllung findet dann
Gabriele Mellbrock ihr Gück.

Das Buch ist ein Tendenzbuch
Man dars nicht Ansprüche daran stellen,
wie an rein darstellende Dichtung; es
will eine Jdee herausheben und sondert
danach die Erscheinungen des Lebens
aus. Die Versasserin ist auch nicht so
stark begabt, daß ihr das Sehen leicht
zum Schauen, üas Schildern also zum
Gestalten würde. Zu einem lange vor-
her erkannten Ziele wird die Kompo-
sition mit einem großen Apparate be-
wegt, aber dieser Apparat arbeitet so
gut, daß wir's kaum beachten, wenn eine
Einzelersahrung als allgemeine Wahr-
heit hingestellt wird und eine Gestalt
beim näheren Zusehn wohl mehr Prä-
parat ist, als Lebewesen. Jm einzelnen
sind vortreffliche Beobachtungen da, in
Fülle blicken ernste und heitere Bilder
herein, auch ein freundlicher Humor
hellt häufig den Schauplatz auf. Jeden-
falls also ein tüchtiges Buch — und
eines im Dienft einer guten Sache. e.

G Berliner Theater.

Was seit den Hebbel-Aufführungen
in den Berliner Theatern vorging,
läßt sich in wenigen Worten aus-
drücken. Fremde Einsuhr war alles;
und in ihr selber wies nichts aus neue
Ausblicke. Auch Maxim Gorkis
„Nachtasyl" nicht, das alsbald nach
der Moskauer Aufführung hier im
Kleinen Theater gegeben wurde. Das
Kleine Theater ist das einzige Ueber-
bleibsel aus der Ueberbrettel-Periode,

das es vsrftanden hat, sich künftlerisch
zu behaupten. Es sichert sich eine
Spezialität und belebt sis mit künst-
lerischem Geschmack, mit schauspiele-
rischen Talenten. Es wird wohl so
nichts Großes herauskommen, — ich
teile die augenblickliche Ueberschätzungs-
Manie nicht —, aber manches Genre-
hafte kann dort zu rechter Bewertung
gelangsn, was seinenbesonderen, vielen
vielleicht unerwünschten Klang hat.
So gelang es, Frank Wedekinds
exzentrisches Spiel vom „Erdgeist"
darzustellen, und es nicht dem bloßen
Gaudium der Leute preiszugeben, wie
es an andern Berliner Theatern leicht
hätte geschehen können. Gorkis „Nacht-
asyl" war ein voller Sieg des Kleinen
Theaters. Aber nicht die dramatische
Dichtung allein, will mir scheinen,
führte zu diesem Sieg. Ein Jnteresse
am Absonderlichen spricht mit; an den
Verlorenen, an den Pilgern derStratze,
an den Asrstbrüdern. Wer wird die
heiße und echte Liebe Gorkis vsr-
kennen, die der Erbarmungswürdig-
sten sich erbarmt? Achtung vor der
Kreatur! Es tönt in der Weise Gorkis
ergreifend milde. Doch bleibt es im
Nachtasyl die Wiederholung einer Spe-
zialität, und für sie ist die üramatische
Form nicht einmal notwendig; sie er-
scheint eher willkürlich, wie zu moral-
agitatorischen Zwecken gewählt. Für
mich war in den „Kleinbürgern" Be-
deutsameres ausgesprochen, Jdeen-
reicheres angekündigt.

Das Schillertheater b!. hat eine
Jugendarbeit Strindbergs „Das
Geheimnis üer Gilde" ausgegraben.
Es zeigt aber nur einen blassen Ab-
glanz von Strindbergs Wesen, und
sür uns ift es gleichgiltig. Auf eine
lehrhafte Pointe läuft es hinaus. Die
Gilde hat gar kein Geheimnis. Dem
anmaßenden Dombaumeister kann das
Werk nicht geüeihen, weil ihm die
eigene Andacht fehlt. Ueber den er
hinweggeschritten war, der hat die
Weihe und üie Kraft.

2. Februarhest tyos

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