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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 12 (2. Märzheft 1903)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0840

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ldileratur.

tigt, wenn wir ^Religion" als Welt-
anschauung und Beziehung der ein-
zelnen Erscheinung auf die letzten Ur-
sachen des Seienden aufsassen —seinen
Lehrsatz in seiner eigentlichen Gestalt
allerdings werden wir nicht ansrken-
nen, weil er eine bestimmte, von
Tolstoj angenommene Religionsform
zur alleingiltigen machen und deshalb
das eigene Suchen und sein ehrliches
Bekenntnis sür den Künstler beschrän-
ken oder niedriger werten will. Tolftoj
ftellt noch in anderer Hinsicht einen
sreilich auch sonst nicht selten anzu-
treffenden Gegensatz zu den Vertretern
des 1'art pour 1e8 artiste^ dar: er
wünscht, daß jedes Kunstwerk je-
dermann unmittelbar verständlich
sei. Jn Wahrheit könnte man höchstens
von einer beschränkten Möglichkeit eines
allgemeinen Verständnisses spre-
chen, da nicht einmal die einander im
Leben Nächststehenden die Möglichkeit
haben, alle Voraussetzungen für ein
Tun ihres Genoffen und alle Mo-
mente in seiner Tat zu übersehen, eins
Uebersicht, die immer geringer wird,
wie derUnterschied der Lebensumstände
wächst. Dann aber liegt in dieser For-
derung auch wiederum die Anbetung
des berüchtigten „gesunden" Menschen-
verstandes, Ler doch kein anderer ist als
der gewöhnliche kurzsichtige Nützlich-
keitsverstand und der Autoritütsrespekt
des Durchschnittsphilisters.

Uebrigens kann sich meines Wiffens,
wer sür die künstlerische Betätigung
die Erdenferne in Anspruch nehmsn und
die Kunst zu einer ausschließlichen Ange-
legenheit derKünstlerselber machsn will,
weder auf irgend einen systematischen
Denker alter, neuer oder neuester Kul-
tur noch auf die ihnen nächstliegende
Erfahrung irgendwie berufen. Denn
bekanntlich haben sich in den meisten
Fällsn im Kunstgenuß und im voll-
giltigen Kunsturteil sehr selten die
nächststehenden Fachgenossen gut be-
währt. Lhr. D. jdflaum.

G „Marthas Kinder." Eine
Fortsetzung zu: „Die Waffen niederl"
Von Bertha von Suttner. (Dres-
den, Pierson, 5 Mk.)

Das bekannte Tendenzwerk der Ver-
fasserin zählt heute 3t Auslagen, die
vorliegende Fortsetzung dürfte es da-
hin nicht bringen, trotzdem auch in ihr
die Friedensidee ausführlich verteidigt
und fernerdurch die Schilderung sozial-
reformerischer Kämpfe weiter ausge-
baut wird. Ueber den Fortschritt der
Friedensgedanken erfahren wir das
Meiste aus dem Tagebuche der Baronin
Martha, die uns gelegentlich Original-
briefe von Tolstoj, Björnson, Egidy
lefen läßt und die Hauptredner be-
deutsamer Kongrefse wörtlich anführt.
Durch diesen sachlichen Bericht von
Tatsachen zieht sich, meist in abgeteil-
ten Kapiteln, die Schilderung der
Kämpfe, die Marthas Sohn, Graf
Rudolf, zu bestehen hat: er verzichtet
auf sein Majorat, um für die Arbeit
am sozialen Ausgleich so frei wie mög-
lich zu sein, er tritt an die Oefientlich-
keit, und am Ende erklärt er fich be-
reit, ohne fernere Rücksicht auf seinen
Stand und seine gewohnte Umwelt
nur mehr seinen fernen Zielen zu leben.
Ob und wie ihm das gelingen wird,
das soll eine Fortsetzung der vorlie-
genden Fortsetzung zsigen. Dann ist
noch da die Schwester Rudolfs, die sich
standesgemäß verheiratet, aber nicht
glücklich wird,und die den rechten Mann
grade da verliert, wo fie ihm ange-
hören will und fich von ihrem Gatten
getrennt hat. — So ift das Werk aus
Wirklichem und Erdichtetem unorga-
nifch zusammengesetzt und hinterläßt
einen recht matten Eindruck. Jn den
Friedenskapiteln knistert das Zeitungs-
papier, mitsamt aü den gewißlich gut
und ehrlich gemeinten Ueberzeugungen,
so hörbar, daß man mehr als cinmal
in Versuchung kommt, ganze Seiten
zu überschlagen. Das kann am Leser
liegen, aber doch auch am Buche.

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Uunftwari
 
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