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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 13 (1. Aprilheft 1903)
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Pohl, M.: Noch einmal Volksgesang und Schulgesang
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0029

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die cin Jnstrument beherrschen, vorausgesetzt, daß ein solches über--
haupt zur Verfügung ist! —

Drittens: Wollen wir denn die Pflege des vierstimmigen Ge-
sanges im spätcrcn Leben überhaupt aufgeben? Das müßte aber
geschehen, wenn die Schnle nicht mehr vorarbeitet. Denn man wird
mir zugeben, daß auch auf dem Gebiete der Sangeskunst der Satz
gilt: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr; wer nicht
in der Jugend gelernt hat, eine Begleitstimme gegen den Diskant
zu halten, der wird später nicht leicht in einem gemischten Chor als
Altist, Tenorist oder Bassist verwendbar sein.

Und endlich: Wenn das Singen zur Klavierbegleitung und der
verständnisvolle Hinweis auf ihre Schönheiten gewiß zur musikalischen
Genußfähigkeit erzieht, so tut dies der mehrstimmige Gesang minde-
stens im gleichen Grade. Ja ich möchte behaupten, der Sänger, der
einem gemischten Chor istngehört, wird noch besser selbständige Stimm-
führungen, Begleitmelodien u.. a. m. auS polyphonen Musikstücken
heraushören und sie in ihrer Bedcutung für den Aufbau der Kom-
position würdigen können, als der, der nnr zur Jnstrumentalbeglei-
tung zu singen gewohnt ist; dcnn er hat natürlich die Begleitstimme
noch wcit wichtiger empfundcn und ift in ihrc musikalische Form ganz
anders eingedrungen, weil er sie selbst singen mußte. Mindestens
in den Knabenschulen aber hat wohl die Mehrzahl der Sänger Ge-
legenheit, sich im Sopran- wic Altsingen zu üben, da die Sopran-
stimmen gcgen den Stimmwcchscl hin tiefer zu werden pflegen und der
Übergang zum Alt ganz von selbst geboten erscheint; in Gymnasial-
chören kommt sodann für die Oberklassen noch die Übnng in einer
der beiden Männerstimmen hinzu: dies giebt zusammen eine nicht
zu verachtendc Gclcgenheit zur Heranbildung sür den mchrstinimigen
Gesang.

Freilich darf diese Heranbildung nicht mechanisch betrieben wer-
den. Wie cs Herr Friedrichs macht, wenn er den Kindern das Ver-
ständnis der Begleitung vermittelt, oder wenn er den Vortrag eines
Stückes einübt, so und nicht anders muß das Verständnis eines Musik-
stückes erschlossen werden. Die Schüler müssen den musikalischen Höhe-
Punkt des Stückes selbst finden, sie müssen finden, wo diese oder jene
Stimme bedeutender hervortritt und mehr als bloße Begleitung ist,
müssen, wenn möglich, den Grund für diese oder jene Stiinmbehand-
lung selbst erkennen. Es läßt sich da viel mehr erreichen, als man
gemeinhin glaubt: hat man erst cinmal ein paar verständnisvolle
Antworten erzielt, so kommcn anch die Schüchternen mit ihren An-
sichten heraus, und es wird ein Zusammcnarbeiten, daß es cine
Freudc ist.

Und das soll ja der Gesangunterricht sein: eine Freude für die
Schule und ein Freudenqnell fürs ganze Leben. M. pohl.

?. Aprilbest

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