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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 14 (2. Aprilheft1903)
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Avenarius, Ferdinand: Theaterzensur
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Kalkschmidt, Eugen: Bismarcks Sprache als Ausdruck
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0078

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verständigen zusammengcsetztcn Ausschnsse anheimgeben. Untcr-
würfe man sich ihm freiwillig, so fiele ja jedes Odium weg. Täte
man dies nicht, so sollte man, wie in Württemberg und den Hansa-
städten, eincm jeglichen Stück eine erste Aufführung unter denselben
Bedingungen freigeben, wie einem Buch, wie einer öffentlichen Rede,
also sofern darin nichts nach dem Strafgesetze Verbotenes geschieht.
Die sinnenfällige Eindringlichkeit einer Bühnenaufführung würde für
gewisse Fälle eine Strafverschärfung rechtfertigen, und wir wenig-
stens hätten auch nichts dagegen, daß durch bcsondere Bestimmungen
manchen Schamlosigkeiten auf deu Thcatern ein Ende gemacht würde,
die jetzt trotz aller Theaterzensur wohlig darauf blühen und fruchten.
Die Frage der Verantwortlichkeit ließe sich nach Grundsätzen rcgeln,
die denen beim Preßgesetz entsprächen. Unabweisbar aber wäre bei
allen solchen Erörterungen und Beschlüssen die Hinzuziehung von
litcrarischen Sachverständigen uud zwar nicht nur zum Mitreden,
sondcrn auch zum Mitentscheidcn. A.

Lisniarcks Lpracke als ^usüruck.

Jst denn nicht alle Sprachc Ausdruck? Sie ist es gcwiß, denn
selbst da, wo man nur Worte hört, drückt sie noch aus, daß nichts zu
sagcn da ist, und dies zu erkennen, kann Gegenstand eincr sehr ein-
dringlichen Veschäftigung sein, Gegenstand zum Beispiel der so schmerz-
lich empfundenen Kritik. Aber anch dcr „reißendste^ Kritiker wird, wenn
er noch nicht ganz verdorben ist im Gemüt, immer liebcr an cinc Sprache
der Kunst oder des Lebens gehen, die ein Etwas gibt, die lcbcndiger
Ausdruck ist des Dcnkens oder Empfindens, Ausdruck eincr Persünlich-
keit. Und es führt zu Genüssen von allerfeinster Art, dcm nachzugchn.
Wir sind dann in der glücklichen Lage, daß uns die Wesensrichtung,
die Tendenz der Persönlichkeit als solche in ihrem Necht oder Unrecht
kaum zu beschäftigen braucht, wir schalten diese ihre Richtungsenergie
gleichsam aus und betrachten lediglich das Maß der geäußcrten Krast
in ihrem Verhältnis zur Form als Ausdruck. Der Kunstwart hat seine
Freunde zur Rechten schon früher gebeten, sich durch die politische Gegner-
schaft doch bei der Freude am Jch in Männern nicht stören zu lassen,
die politisch weit zur Linken stehn, er darf also seine Freunde zur Linken
heut unbefangen einladen, sich mit ihm an Bismarcks Geburtstage zu
freuen.

Wundcrlich genug, daß man diese Art dcr Betrachtung eincr so
vcrführerisch lebendigcn Kraft wie Bismarck gegenüber noch so selten,
fast garnicht versucht hat. Er hat ein Neich gegründet, cinem Traum
Gcstalt gegeben — um diese geschichtliche Tatsache ins rechte Licht zu sctzen,
hat man Berge von Büchern um sic aufgehäuft. Diese Tatsache ist in
aller politischen Betrachtung Bismarcks der Endzweck und muß es sein.
Umgekehrt gehen wir heute von ihr erst aus und auf die Persönlichkeit zu,
von der Wirkung auf die Ursache zurück, nicht bis ins psgchische Zentrum
und in seine Zusammenhänge hinein, das führte uns zu wcit, aus dem
Schauen ins Wissen oder bescheidener: ins Wissenwollen; sondern nur
bis an die Peripherie, bis an dic Grenzen dicser großcn Natur, bis da-

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