Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft1903)
DOI Artikel:
Kalkschmidt, Eugen: Bismarcks Sprache als Ausdruck
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0079

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
hin, wo ihre Handlungcn nur erst in Wortgestalt erscheinen, weil zu
allem Anfange das Wort gehört. Die schöpferische Kraft auch Bis-
marcks bewührt sich am Worte nicht immer frei und ursprünglich wie
am Werke. Als ein Künstler lebt Bismarck vor uns auf, das heißt,
als ein Meusch, der das Wesen der Erscheinungen instinktiv klarer als
die anderen erkennt und kraft seiner politischen Sonderbegabung aus
dieser Erkenntnis die Handhabe gewinnt, um sie, die Erscheinungen, durch
Anwendung ihrer eigencn Wesensgesetze sich zu eigen, sich dienstbar zu
machcn.

Wir wcrden zu unterscheiden haben den Bismarck, der zur Oeffent-
lichkeit spricht, und den, der in seinen Briefcn und Gesprächen als Privat-
mann den Lauf der Welt vertraulich und betrachtsam schildert auch da,
wo er selber mitten inne steht im weiträumigen Wirbel der Geschehnisse.
Jn Stücke zerfüllt uns darüber die Persönlichkeit nicht. Grade im Gegen-
teil zu der einseitig politischen Bewertung dieses Mannes, die sür die
mancherlei Seelen in seiner Brust keine recht passende Hülle aufzutreiben
weiß, — im Gegenteil zu ihr kommcn wir zu einer fest umrissenen Ein-
heit. Daß sie sich einmal im Diplomatenfrack, das andere Mal im
Hausrock oder in Hemdsürmeln darstellt, beeintrüchtigt ihren überaus
anschaulich verbundenen Charakter nicht.

Bismarck als Nedner durch die Jahrzehnte hin zu verfolgen, ge-
währt einen eigenen Genuß. Der Unterschied zwischen dem händel-
lustigen Junker im ersten preußischen Landtage von Anno s8H7 und
dem alten Herrn, der in Friedrichsruh für jedcn ein freundliches Würtchen
hat, ist sehr groß, aber doch nicht größer als der Unterschied zwischen
Jugend und Altcr im allgemeinen. Jn der Jugend steht er schroff gegen-
sützlich zur herrschenden Meinung, und fast jcdes Wort und jede Wendung
in seinen damaligen Reden erwüchst aus dem bewußten Gefühl dieses
Gcgensatzes. Der Abgeordnete, mehr noch der Konfliktsminifter — sie
sprechen im Kanzlei-, im Diplomatenstil. Aber in diesen beträchtlichen
Perioden, die so ganz nur auf nüchterne Tatsachen eingestellt sind, ist
jedes „Und", jedes „Abcr" leidenschaftlich gespannt, nimmt es gleichsam
Kampfstellung cin. Wo die Spannung nachzulassen scheint, geschieht es
meist nur, um etwas Raum für die schlagende Wirkung eines überaus
verbindlich geformten aber nichtsdestoweniger scharf treffenden Witzes zu
gewinnen. Es war das die Zeit, wo cin leiser Zweifel an der guten
Erziehung, ein Zweifel an der Wahrhaftigkeit der vorgetragenen Meinung
genügte, Bismarck zur Pistolenforderung zu treiben. Schon in den
siebziger Jahren verliert sich diese Schwüle, die Rede fließt freier, plauder-
samer dahin, die Neigung, „einzukehren" in allerhand episodische Winkel
und charakteristische Äussichtspunkte, nimmt zu. Gegen das Ende hin
überwiegt das historische Bewußtsein fast das für die jeweilig gcgen-
wärtige Aufgabe. Aüer die Reden dcr gesamten fünfzig Jahre verbindet
die stets bereite Fähigkeit Bismarcks, den „springenden Punkt unlöslich"
zu erkennen und ihn mit so viel plastischer Kraft des Ausdrucks allgemein
verständlich zu machen, daß eine Widerlegung dieser nunmehr ganz selbst-
verständlich anmutenden Beweisführung auf den ersten Blick hin schwer
möglich scheint. Ja, selbst offenbare Phrasen, wie die von uns Deutschen,
die Gott fürchten und sonst nichts in der Welt, gewinnen in seinem
Mundc durch die Geschicklichkeit ihrer Anwendung einen ordentlich sonoren

S8

Aunstwart
 
Annotationen